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Besuch des Berliner Teesalons

Letzte Woche bekam ich einen unerwarteten Anruf eines Freundes. Er wollte in Berlin ein Auto kaufen und brauchte einen Mitfahrer. Bereitwillig, jede Möglichkeit zu nutzen, um den Prüfungsvorbereitungen zu entgehen, ließ ich mich darauf ein. Einen Hintergedanken hatte ich aber dabei. War in Berlin nicht der romantische Teeladen mit Verkostungsangebot vor Ort, ausgestattet mit nostalgischen Möbeln und spezialisiert auf erlesene Teesorten? Darüber hat doch schon der Teefreund Krabbenhüter berichtet und konnte den Laden uneingeschränkt weiterempfehlen.
Meine Zustimmung erfolgte also unter der Bedingung, den Berliner Teesalon aufzusuchen und mir vor Ort einen kleinen Obolus aussuchen zu dürfen.
Wegen des Schneewetters waren die Bedingungen auf den Autobahnen suboptimal und wir sind erst eine halbe Stunde vor Schließung angekommen. Für einen gemütlichen Plausch unter Teefreunden blieb also wenig Zeit, nicht einmal Fotos habe ich gemacht – viel zu sehr waren wir damit beschäftigt, die Atmosphäre aufzusaugen, Teeutensilien zu bestaunen und schließlich auch Tee zu kaufen.
Man hatte durchweg das Gefühl, dass das Geschäft mit viel Liebe betrieben wird. Im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass im Teesalon der typische Geruch fehlte, der durch das Angebot aromatisierter Tees entsteht. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?
Der Laden geht in die Tiefe und es werden auch ausländische Tee-Raritäten angeboten, beispielsweise Tee aus Irland der Marke Barry’s. Überhaupt hatten wir den Eindruck, dass Teekultur groß geschrieben wird. Bunte Teedosen und Danoon-Becher waren rar, wenn überhaupt vorhanden. Hier und da standen Utensilien und Keramiken von mir teilweise bekannten Töpfern. Die Teewelt ist manchmal kleiner als man denkt. Auch aus Fernost standen so manche Schätze in den antiken Regalen. Wer auf der Suche nach kunstvoll verzierten Yixing-Kannen ist, der dürfte hier fündig werden.
Ich stellte uns anfangs vor, dass wir aus Hamburg extra nach Berlin gekommen seien, um den Teesalon zu besuchen. Das war natürlich leicht geflunkert. Mein Kumpel trinkt zwar Tee durch meinen Einfluss, ist aber weit entfernt davon ein “Nerd” zu sein. Das merkte man an seiner Frage: “Habt ihr noch einen so richtig guten Tee? Vielleicht einen Earl Grey?” Wir (die Verkäuferin und ich) mussten beide lachen – das war mir sympathisch. Nicht, weil ich Earl Grey für ein absolutes “no go” halte, sondern weil selbst ein wirklich anständiger Earl Grey bleibt was er ist: Ein aromatisierter Tee, der durchaus lecker schmeckt und seine Fans hat (mich eingeschlossen), aber nicht in einer Reihe mit handwerklich hochwertig verarbeiteten Oolong stehen kann. Und so fiel die Wahl auf drei verschiedene Oolong aus Taiwan: Einen Hong Shui aus dem Frühling 2012, einen Dong Ding mit einem Oxidationsgrad von 30-40% und einen zehn Jahre gelagerten Hochland-Oolong, der wohl einige Male nachgeröstet wurde und mich vor allem beim Ausschank überzeugt hat. Verkostungsberichte folgen allerdings erst in Zukunft.
Dass wir noch die Gelegenheit bekamen, den Teesalon in seiner jetzigen Form zu besuchen, ist eine glückliche Fügung. Dieses Jahr soll wohl noch ein Umzug innerhalb Berlins folgen. Es ist also Eile geboten, wenn man den Salon erleben möchte.
Gekauft haben wir verschiedene kleine Kostbarkeiten. Sehr entgegen kam uns dabei, dass die nette Frau eine chinesische Deckeltasse (Gaiwan) dazu nutzte, um unsere Aufmerksamkeit auf ein paar besondere Oolong zu ziehen und uns von ihnen probieren ließ. Ein geschmacklicher Eindruck ist das überzeugendste Argument für einen Kauf und ein sehr kundenfreundliches Entgegenkommen. Wie ein Tee letztlich schmecken wird, kann man durch den Geruch alleine nur schwerlich erahnen, zumindest ich kann das nicht. Umso bedauerlicher ist es, wenn die Feststellung erst in den vier eigenen Wänden eintritt und der Tee einem geschmacklich nicht zusagt. Diese Art von Service habe ich sehr genossen und kann jedem Berliner bzw. Touristen einen Besuch empfehlen.
Banko-Keramik Teil I: Die Geschichte

Banko-Keramik Teil I: Die Geschichte

Mit steigender Popularität von japanischem Grüntee in der Edo-Zeit (1615—1868) war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die chinesischen Utensilien in den Fokus der Teeliebhaber gerieten, wurde doch diese Trinkkultur aus China übernommen. Dazu gehörte eine Kanne, häufig mit einem Seitengriff, die kyûsu genannt wird. Bis dahin war nur Tee in Form eines feinen Pulvers (matcha) populär, der mit einem Teeschläger und heißem Wasser aufgeschlagen und nicht aufgebrüht wurde. Wer es sich leisten konnte, importierte die teuren chinesischen Keramiken, aber naturgemäß konnten das die Wenigsten, weswegen schon bald japanische Töpfer anfingen, diese Kannen zu imitieren.
In Japan gibt es eine lange Tradition, Keramiken nach ihrem Herkunftsort zu bezeichnen: Bizen, Shigaraki, Echizen usw. sind Beispiele dafür und auch Tokoname reiht sich in diese Gruppe ein. Tonkannen aus Tokoname gehören seit langer Zeit zu den populärsten Kannen Japans, die auch internationale Anerkennung erhielten. Etwas im Schatten dieser Region befindet sich die Stadt Yokkaichi in der Präfektur Mie. Die dort hergestellten Waren werden seit 1979 zu den traditionellen Handwerkprodukten gezählt, sind bekannt unter dem Namen Banko und zeichnen sich durch ihre Hitzebeständigkeit und eisenhaltigen Ton aus.
Im Vergleich zu Tokoname ist die Geschichte von Banko-Keramik kurz erzählt: Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat ein gewisser Nunami Rôzan in der Nähe von Ise und später auch in Edo seine Töpferwaren mit einem Siegel gestempelt, welches den Namen Banko (萬古) trug. Werke aus dieser Zeit tragen zur Unterscheidung von späteren Produkten allgemein den Namen ko-Banko (altes Banko 古萬古). Rôzan war ein Tee-Liebhaber und lernte in Kyôto neben herausragenden Persönlichkeiten und Teemeistern auch die dortige Keramik wie z.B. Raku und dekoriertes Kyô-yaki kennen und ließ sich davon inspirieren. Das resultierte in Porzellan-ähnlichen Waren mit Dekoren.

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Nach seinem Tod im Jahre 1777 verschwand diese Keramikgattung für kurze Zeit von der Bildfläche ehe 1831 ein gewisser Mori Yûsetsu (1808-1882) die Tradition wieder aufgriff, indem er das Siegel von Rôzans Sohn abkaufte. Yûsetsu stellte zwar Keramiken in Anlehnung an Rôzans Werke her, brannte aber auch undekorierte braune Ware mit dünnen Wänden, die speziell für den Sencha-Konsum gedacht waren. 1870 wurde durch Yamanaka Chûzaemon in Yokkaichi ein Ofen in Betrieb genommen, dessen Waren sich am Stil Yûsetsus orientierten und sogar bei der Pariser Weltausstellung im Westen Anklang fanden und im 20. Jahrhundert im großen Stil exportiert wurden. Damals wurde Steinzeug mit roter Aufglasurmalerei auf einer beigefarbenen Unterglasur hergestellt.
In Anbetracht der über 200jährigen Geschichte fällt es schwer, eine Entwicklungslinie nachzuzeichnen — zu unterschiedlich fallen die Stile aus. Zum Beispiel wurde anfangs noch mit aufsteigenden “Drachenöfen” (noborigama 登窯) gebrannt, heute aber in Gas- oder Elektroöfen. Holzschablonen und Freihandaufbau sind Töpferscheiben und einem Gießverfahren gewichen. Anfangs wurden dekorierte Keramiken hergestellt, heute sind es vor allem die bräunlichen Tee-Utensilien mit einem leichten metallischem Glanz, die ein Teeliebhaber unter Banko-yaki versteht. Manchmal spricht man auch von einer bräunlich-violetten Färbung, wenn das Stück aus eisenhaltigem roten Ton (shudei 朱 泥) hergestellt wird. Diese Färbung kommt durch einen interessanten Effekt zustande: Sobald die Tür des Ofens geöffnet wird, oxidiert das Eisen auf der Oberfläche und wird rot. Durch den Reduktionsbrand ist das meiste Eisen im Tonkörper aber blau. Beides Zusammen ergibt dann ein bräunliches Violett.

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Eine moderne Banko-kyûsu mit handsignierter Holzschachtel von Tachi Masaki.

Ein bekannter japanischer Töpfer ist Tachi Masaki, der als traditioneller Kunsthandwerker gilt und von der Stadt Yokkaichi zum geistigen Kulturschatz (mukei bunkazai 無形文化財) erhoben wurde. Preise hat er so einige verliehen bekommen, zur größten Ehre gehörte wohl aber, dass ausgerechnet seine Werke als Geschenke dem kaiserlichen Geschwisterpaar als Begrüßungsgeschenk überreicht wurden, als diese die Stadt Yokkaichi besuchten. Es folgt am Ende ein Video von Tachi Masaki, in dem er die Herstellung einer kyûsu demonstriert. Das Video stammt von Akira Hojo, einem japanischen Teehändler mit großer Begeisterung für Teekeramik, der Keramiken von Tachi Masaki anbietet. Eine alternative Bezugsquelle ist yuuki-cha.com, wo es ebenfalls einige ausgewählte Werke gibt, zu denen auch farblich dekorierte Kannen gehören. Ich vermute, dass es sich bei diesen neuen Kreationen um Anlehnungen an Banko-Traditionen handelt, die in der Frühphase hergestellt wurden. Solch ein Bild findet ihr hier.
Ein anderer berühmter Töpfer ist Mori Iroku, der für seinen Diamanten-Schliff bekannt ist. Heute gibt es aber über 100 Töpferbetriebe, in denen Banko-yaki hergestellt wird. Bei “thés du japon” lassen sich noch weitere Kannen von anderen Töpfern finden. Vor allem dem natürlichem shudei-Ton wird eine positive Wirkung auf den Geschmack des Wassers und des Tees nachgesagt. Dieser Mythos (?) wird im nächsten Blog behandelt. Und schließlich noch eine Buchempfehlung für alle, die sich einen kurzen Überblick über die Vielfalt japanischer Keramik wünschen: Wege zur Japanischen Keramik: Tradition in der Gegenwart

Lagerversuch mit Da Hong Pao

In letzter Zeit komme ich kaum zum Tee-Trinken. Leider! Die Abschlussprüfungen zollen ihren Tribut. Wenn ich spät nach Hause komme, fehlt mir nicht nur die Zeit und die Lust eine umfangreiche Tee-Verkostung zu machen, es wäre sogar kontraproduktiv, da der Tee mich vermutlich noch schlechter schlafen lassen würde als ich es ohnehin schon tue. Daher beschäftige ich mich auf andere Weise mit Tee. Ich tue mich ja ohnehin schwer, mir Zeit für gute Tees zu nehmen. Einer dieser Tees ist ein Da Hong Pao, den mir ein Freund (Bernd) aus China mitgebracht hat. Davon habe ich ca. 50g. Ich habe hier so viele Teeproben, dass es nicht so schlimm ist, auf diesen Tee einen Zeit lang zu verzichten. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen? Es soll ja noch andere Tees als Pu Erh geben, die mit der Zeit reifen und sich geschmacklich entwickeln. Dazu gehören die dunklen “Steintees”. Ob dieser Tee tatsächlich aus Wuyi kommt und an felsigen Hängen gewachsen ist, kann ich nicht überprüfen. Der Geruch allein schmeichelt der Nase und wirkt vielversprechend. Frau S. denkt zwar an gerösteten japanischen Tee (hôjicha 焙じ茶) und ich muss ihr da auch teilweise zustimmen, doch sehr viel prägnanter finde ich dunkles Kakaopulver, frische Brotkruste und dunkle Herrenschokolade. Getrunken habe ich den Tee bisher nicht.
Den Plan, einen Tee reifen zu lassen, hatte ich schon letztes Jahr und habe mir zu Weihnachten eine Teedose gewünscht. Stéphane empfiehlt für die Lagerung solcher Tees ganz simple Blechdosen oder aber Dosen aus Porzellan. Ansonsten ist nicht viel zu beachten, denn Deutschland mit seinem milden und trockenen Klima soll sich sehr gut dazu eignen. Anders als Pu Erh mag dieser Tee keine besonders hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme.

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Ich habe mich für eine innen glasierte Dose aus Steinzeug entschieden. Die Teedose ist von Petr Novák und sie hat es mir besonders angetan.

Sie hat eine so schöne Oberfläche mit leicht gelblichen Glasurflecken, die von einer Ascheglasur aus Heu stammen. Das erinnert mich an japanische Keramiken aus den alten Öfen, die dafür bekannt waren, dass sich während des Brennprozesses Asche auf den Keramiken absetzte und darauf schmolz. Solche Glasuren nennt man Ascheanflug-Glasuren – in Japan auch einfach “natürliche Glasuren” (shizenyû 自然釉) genannt.

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Darin muss der Tee bestenfalls bis zum Deckelansatz gefüllt sein, damit so wenig Luft wie möglich in der Dose verbleibt. Mehr muss man nicht machen, den Rest erledigt die Zeit. Und nach fünf bis zehn Jahren findet sich vielleicht eine schöne Gelegenheit, einem Gast diesen Tee anzubieten.

Geburtstagstee für Frau S.: Ein grüner Oolong aus Japan

Eine der (zweifelhaften?) Freuden, die sich ergeben, wenn man mit einem Tee-Liebhaber zusammen lebt, ist, dass man zu besonderen Anlässen besondere Tees trinken darf. Wie andere Menschen kostbare Momente mit dem richtigen Wein oder Essen krönen, mache ich das gerne mit Tee. Daher durfte Frau S. heute einen Tee aussuchen und wer sie kennt, der weiß, dass ihre Wahl nicht auf Pu Erh gefallen ist. Nach reichlicher Überlegung fiel die Wahl auch aus pragmatischen Gründen auf einen Oolong. Der Tee musste den besonderen Anforderungen des Tages entsprechen und das bedeutet, dass bei zahlreichen Anrufen keine lange und konzentrierte Tee-Session möglich sein würde. Daher fiel die Wahl auf einen grünen Oolong. Da wir Tie Guan Yin schon sehr gut kennen und dieser Tee nichts Außergewöhnliches gewesen wäre, entschieden wir uns für einen ungewöhnlichen Japaner: Ein grüner Oolong aus der Präfektur Miyazaki (Gokase) mit dem Namen Meiryoku.

Tee-Anbaugebiete auf einer größeren Karte anzeigen
Diesen Tee habe ich vor einem Jahr von meiner lieben Schwester zum Geburtstag bekommen und erst jetzt probiert. Also mein Geburtstagstee zum Geburtstag meiner Liebsten. Passt, oder? Alle, die mir in der Vergangenheit Teeproben geschickt haben und sich wundern, warum ich sie noch nicht probiert habe, dürften jetzt verstehen, dass es bei mir durchaus länger dauern kann, einen besonderen Tee zu trinken.
Ein weiteres Geschenk durfte heute sein Debüt feiern. Es ist eine Shiboridashi 絞り出し, die ich zu Weihnachten bekommen habe. Eine Shiboridashi ähnelt einer chinesischen Deckeltasse (Gaiwan), aber sie ist viel flacher und breiter und eignet sich gut für Gyokuro. Diese Shiboridashi stammt von Petr Nováks, einem tschechischen Töpfer, der sich auf Tee-Keramik spezialisiert hat. Petr ist auch ein Tee-Liebhaber, schreibt einen eigenen Blog und stellt Keramiken her, die einigen bekannten japanischen Stilen nachempfunden sind. Wer sich für Tee-Keramik und Petrs Arbeiten interessiert, der darf sich auf einen meiner nächsten Blogs freuen, in dem ich ihn und einige seine Werke genauer vorstellen werde.

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Die gelben Flecken auf dem Gefäß sehen nach geschmolzener Holzasche aus

Die Shiboridashi ist außen sehr rau und trägt unterschiedliche Farben und Texturen, welche durch differierende Brennkonditionen entstanden. Der Ton ist grob, etwas sandig, und es ist ein Vergnügen das Gefäß in den Händen zu rotieren. Innen ist sie glasiert, daher kann man sie für verschiedene Tees benutzen ohne dabei befürchten zu müssen, dass der Geschmack vom Vorgänger in die Tasse gerät. Spontan muss ich bei dieser Keramik an Bizen-yaki (Bizen-Keramik 備前焼) denken, daher werde ich mal einen Blog schreiben, in dem ich beide nebeneinander stelle.

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Hier sieht man die unterschiedlichen Farben der Oberfläche
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Innen ist die Shiboridashi glasiert

Als Präsentationsschale durfte eine Muschel aus Kolberg (Polen) herhalten, die ich nach Weihnachten vor Ort kaufen konnte. In Japan gab es im 16. Jahrhundert die Gewohnheit, “gefundene” Objekte, die sich für Tee eigneten ausfindig zu machen und umzufunktionieren. So wurden z.B. koreanische Reisschalen zu Teeschalen. Im zunehmend standardisierten Teeweg wurde diese Kreativität schon bald geopfert, um sich am großen Vorbild Sen no Rikyûs (1522-1591) zu orientieren. Ein Teemeister, der sehr konsequent auf kreative Elemente gesetzt hat, war Furuta Oribe (1544-1615), der Riykûs Schüler war, sich aber später seinem eigenen Stil widmete und viele Anhänger hatte. Am japanischen Tee hat mich diese Kreativität schon immer fasziniert. Ich denke, dass diese Offenheit dazu führte, dass sich alternative Ästhetikvorstellungen etablieren konnten und nehme mir daran ein Vorbild. Wenn ich etwas finde, dass ich für Tee gebrauchen kann, unabhängig davon, ob es zu diesem Zweck gemacht wurde, dann kaufe ich es oder funktioniere etwas bereits Vorhandenes um.

Der Tee wirkt auf den ersten Blick unspektakulär. Anstelle eines satten Grüns wirken die Blätter wie ausgeblichen. Ich gebe zu, dass der rein optisch nicht zu überzeugen weiß. Die Form der Blätter ist so wie Oolong wohl mal war: Geschwungene, wellenmäßige Formen, die an einen Drachen erinnern.

Der Duft ist schon überraschend würzig und lässt mich spontan an eine Mischung aus Honig und Lebkuchen denken. Oder doch Honigkuchen? In der warmen Shiboridashi ändert sich der Duft in Richtung Schwarztee, vielleicht Assam.

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Links oben eine Raku-chawan, die ich zum kensui 建水 umfunktioniert habe. Unten links ein Seladon-Schälchen

Einen “Spülgang” spare ich mir, stattdessen lasse ich den Tee 30 Sekunden ziehen. Beim Eingießen in die kleinen Seladon-Schälchen steigt ein bekannter aber total unerwarteter Duft auf: Es riecht nach Tie Guan Yin! Das ist schon eine kleine Sensation, da der Tee von Anfang an ganz anders gerochen hat und ich das überhaupt nicht erwartet hätte. Aber in der Tasse habe ich den typischen Orchideen-artigen (zumindest wird er von allen so beschrieben, ich habe noch nie an einer duftenden Orchidee gerochen) Duft. Auch die nassen Blätter geben jetzt diesen Geruch ab. Sehr vielseitig, dieser Japaner.

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Der Aufguss ist eher gelb als grün

Der erste Aufguss schmeckte so wie es der Geruch schon angedeutet hat. Ein dezenter und blumiger Geschmack, geprägt von Süße mit dem Orchideen-Duft in der Nase. Ein Tee nach Frau S.’ Geschmack.

Beim zweiten Aufguss wird der Tee etwas gehaltvoller mit malzigen Noten und Spuren von Honig. Die Ähnlichkeit zu Tie Guan Yin dominiert aber nach wie vor.

Ab dem dritten Aufguss geht der Duft etwas zurück, im Geschmack bleibt der Tee mehr oder weniger konstant und überrascht mich besonders beim sechsten Mal. Da habe ich den Aufguss versehentlich vergessen, weil wir gerade durch ein Skype-Gespräch mit Japan unterbrochen wurden. Der Tee hat es uns verziehen und schmeckte sehr frisch und spritzig. Da müssen sich wohl einige Säuren mehr aus den Blättern gelöst haben.

Den Tee haben wir noch bis zum achten Aufguss weiter getrunken und waren sehr zufrieden. Nach dem achten Aufguss hätte man vielleicht noch zwei experimentelle hinterherschieben können, aber wir waren zufrieden und haben den Tee wieder Tee sein lassen.

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Die Blätter sehen im Shiboridashi schön saftig aus und haben sich voll entfaltet. Man sieht, dass die Blätter (wie bei Oolong üblich) ganz erhalten geblieben sind. Das spricht für handgepflückte, was in Japan eigentlich nicht üblich ist. An einigen Exemplaren kann man die mehr oder weniger fortgeschrittene Oxidation erkennen.

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Fazit: Ein Tee, der sich hinter chinesischen Originalen nicht verstecken muss, auch wenn er für hochwertige Tie Guan Yin keine Konkurrenz darstellt. Dafür geht der Geschmack dann doch in eine andere Richtung, obwohl Parallelen vorhanden sind. Wer grüne Oolong und Tie Guan Yin mag, der sollte einen Japaner ruhig mal probieren. Leider ist dieser Tee momentan nicht mehr erhältlich. Dafür gibt es andere grünliche Oolong, ebenfalls aus Miyazaki, die vielleicht ähnlich verarbeitet wurden. Versuch macht klug 🙂

Letzer Tee des Jahres: Darjeeling First Flush Risheehat

Lange habe ich hin und her überlegt, welchen Tee ich am letzten Tag des Jahres trinken soll, doch dann habe ich ganz pragmatisch entschieden. Hintergrund ist, dass ich diesen Tag bei meinen zukünftigen Schwiegereltern verbringe und ich Tee-Utensilien und Tee erst mitschleppen muss. Ursprünglich wollte ich einen Pu Erh von William trinken, aber dafür hätte ich neben den Utensilien noch einen Wasserkocher mitnehmen müssen. Die Vorstellung bei meinen zukünftigen Schwiegereltern einen in ihren Augen unnötig großen Aufwand nur für Tee zu veranstalten, der bei 15 Aufgüssen plus Spülen dann doch größer ausfällt, hat mich zum Darjeeling getrieben, den ich in einer kleinen Kyûsu (急須 Seitengriffkanne) zubereitet habe. Sie müssen meine “Nerdigkeit” ja nicht gleich in vollem Ausmaß erleben.

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Die zweckentfremdete kyûsu

Die Kyûsu ist Steinzeug aus gröberem Ton und fühlt sich wunderbar rau an, obwohl sie mit einer leichten transparenten Glasur überzogen ist. Gefunden habe ich dieses Stück zufällig in Imari, eine Stadt im Süden Japans, die vor allem für Porzellan bekannt ist. Da stand sie in einem Geschäft (etwas deplatziert) und auf meine Frage, wie viel sie denn kosten solle, kam die überraschende Antwort: 1000 Yen (ca. 10 Euro). Dafür, dass die Kyûsu handgetöpfert ist und schöne Spuren von diesem Prozess aufzeigt, ist das ein sehr niedriger Preis. Am Boden der Kanne befinden sich aber kleine Unregelmäßigkeiten, die wahrscheinlich der Grund für dieses Sonderangebot sind. Da das Sieb nur aus ein paar recht großen Löchern besteht, benutze ich diese Kanne nicht für japanische feine Sencha, sondern für etwas bessere Schwarztees, die keinen besonders dunklen Aufguss ergeben.
Gute Tees für die Kanne sind z.B. die First Flushs aus Darjeeling, in diesem Fall ein besonders junger (DJ 3, also dritte Pflückung der ersten Ernte des Jahres!) Risheehat, den ich als Probe im Hamburger Teespeicher gekauft habe.

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Sehr gut erhaltene ganze Blätter. Die Schale ist geborgt.

Dieser Tee besteht aus vielen intakten Blättern, die schon im trockenen Zustand verraten, dass sie sorgfältig verarbeitet wurden. Da kommt Vorfreude auf, die Blätter im nassen Zustand zu genießen.
Zum ersten Teegenuss gehören auch die richtigen Tassen, in denen die Farbe des Tees zur Geltung kommt. Eigentlich bevorzuge ich sonst für Tees, die ich schon kenne, Keramiken in verschiedenen Farbtönen. Zum Glück hat man Freunde, die einem etwas mitbringen. Diesen Sommer kam Yûsuke aus Japan und brachte neben einem japanischen Reiswein auch zwei Becher mit.

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Das Setting ist fertig

Diese Becher sind auch aus Steinzeug, tragen aber eine hübsche weiße Glasur, die zum Lippenrand hin den Tonkörper nicht mehr vollständig zu bedecken vermag. Ich weiß nicht, wofür sie ursprünglich gefertigt wurden, aber sie geben prima Becher für Tee ab.

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Der Bereich um den Fußring ist (typisch japanisch) unglasiert, zeigt einen rötlichen Scherben und die Signatur des für mich leider unbekannten Töpfers. Der grobe rötliche Ton weist auf einen hohen Eisengehalt hin. Es ist immer wieder eine Freude mit dem Finger über den Scherben zu streichen und seine Eigenheiten haptisch zu erfassen. Jeder Ton ist anders und verrät etwas über seine Herkunft und den Geschmack des Töpfers! Daher nennt man das Betrachten des Tons in Japan auch tsuchi no aji  土の味 – den Geschmack (auch Gefühl) des Tons. Vielen Dank, lieber Yûsuke, für diese schönen Becher!

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Schöne grobkörnige Tonerde, die noch die Spuren der Herstellung erkennen lässt

Kommen wir nun zum Tee, schließlich geht es ja um den letzten Tee des Jahres. Die Blätter riechen wie ein guter Darjeeling First Flush zu riechen hat: Blumig, süßlich wie Maiglöckchen, dazu noch etwas Minze und Kamille. Aufgegossen ist der Geruch der Blätter noch süßer und etwas herb.

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Auch die Untersetzer haben wir von Yûsuke. Sie passen sehr gut zu den Bechern.
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Die Farbe des Tees ist nach zwei Minuten dunkelgelb, was bei den überwiegend hellen Blättern kaum verwundert. Der Aufguss riecht in der Tasse überraschend schwach. Im Geschmack zeigt sich der Tee mild und erinnert zuerst wenig an Darjeeling First Flush. Besonders fällt die Süße auf. Weitere wahrnehmbare Aromen sind blumige Düfte und Zitronengrass. Im Mund ist der Tee sehr weich und mild. Frau S. gefällt der so sehr gut.  Mir ist er nach etwas mehr als zwei Minuten Ziehzeit etwas zu lasch. Ein weiterer Aufguss folgte mit 4 Minuten und siehe da: Schon im Becher zeigt sich ein intensiverer Duft. Das ist Darjeeling! Der riecht jetzt viel ätherischer und kräftiger. Im Geschmack ist die Süße fast genau so stark und er zeigt sich vollmundiger und aromatischer. Frau S. mag den Tee auch, aber im Hals ist er ihr ein bisschen zu kratzig.
Sehr interessant finde ich die Diskrepanz der ersten beiden Aufgüsse. “Schwarzen” Tee gießt man ja häufig nur einmal auf, ich aber tendiere bei den guten Qualitäten immer zu einem zweiten Aufguss und fahre in der Regel sehr gut damit. Bei diesem Tee müsste man eigentlich die erste Ziehzeit auf ca. 3 Minuten verlängern, aber ob dann noch genug Kraft für einen weiteren Tee in den Blättern übrig bleibt? Das wird das Jahr 2013 zeigen.

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Links ein paar trockene Blätter, rechts die nassen

Der erste Eindruck der Blätter täuschte nicht. Die jungen Blätter sind in einem äußerst guten Zustand und überwiegend grün, weil sie wenig Chlorophyll enthalten. Dieses Chlorophyll ist bei der Oxidation für die dunkle Färbung verantwortlich. Spätere Pflückungen müssten daher immer dunkler werden.* Ein schöner Tee für den Jahresausklang! Die zukünftigen Schwiegereltern sind sogleich auf den Duft aufmerksam und dadurch auf den Tee neugierig geworden. Daher bereite ich Ihnen heute den Tee noch einmal zu.
Fazit: Dieser Darjeeling ist nicht ganz so rustikal wie andere First Flushs und ist viel delikater und zarter. Dadurch kommen die feinen Aromen meiner Meinung nach besser zur Geltung und werden z.B. nicht von Adstringenz überlagert. Ein sehr schöner Tee mit einem meiner Meinung nach fairen Preis, wenn ich bedenke, was andere First Flushs sonst zu bieten haben. Andererseits ist es eher ein Tee für den besonderen Moment, da man sich für ihn die nötige Zeit nehmen sollte.

Allen Lesern ein frohes, neues, gesundes und gesegnetes Jahr 2013!

*Im Teetalk-Forum hat sich eine interessante Diskussion zu diesem Thema ergeben. Tatsächlich gibt es verschiedene Meinungen über die Ursache der grünen Blätter. Bis eine endgültige Klärung aussteht, wird an dieser Stelle nur auf den entsprechenden Thread verwiesen.

Nachtrag: Der Tee kam gut an. Der erste Aufguss schmeckt nach drei Minuten sehr viel intensiver. Der zweite Aufguss mit ca. 4,5 Minuten ist nicht mehr so kräftig wie bei der ersten Zubereitung, aber er hat ein Merkmal, welches ich beim ersten vermisst habe und den ich sonst in jedem Flugtee herausschmecke. Ich weiß nicht genau, wie ich diesen Geschmack oder das Aroma am besten beschreiben sollte, aber es hat etwas von ätherischen Ölen und Salatgurke(?). Auf jeden Fall ist dieser Aufguss noch immer lohnend, auch wenn er etwas kratziger im Rachen ausfällt.