Weder maße ich mir an, über die Güte eines Tees zu urteilen, noch möchte ich meine Erfahrungen als das Nonplusultra verkaufen. Verkostungsberichte sind für mich einerseits eine ganz pragmatische Lösung, um meine Erfahrungen festzuhalten und “Tee zu lernen”. Ich trinke zwar schon seit über 10 Jahren Tee, allerdings habe ich erst vor ca. 2 Jahren angefangen bewusst auf Unterschiede zu achten. Davor war Tee einfach Tee. Hier und da habe ich mal etwas Neues gekauft, mal hat es geschmeckt, mal nicht, mal habe ich mir den Namen und die Herkunft gemerkt, mal nicht, und auf diese Weise liegt der Erkenntnisgewinn natürlich bei nahezu Null. Ich möchte also zunächst meine Eindrücke sortieren und festhalten, denn meistens verinnerlicht man die Erfahrungen allein durch das Aufschreiben. Und dann kann es sein, dass es Menschen gibt, die gerne ihre Erfahrungen mit denen eines anderen abgleichen. Wenn man einen Menschen findet, der Tee ähnlich wahrnimmt wie man selbst, dann können seine Erfahrungen nützlich sein, wenn man auf der Suche nach neuen Teeerfahrungen ist. Ich lese zum Beispiel sehr gerne die Eindrücke von anderen und lasse mich von ihnen inspirieren.
Der Tee, um den es sich heute dreht, ist ein Oolong aus Taiwan, den mir eine Arbeitskollegin mitgebracht hat. Eines Tages erfuhr ich in einem Gespräch, dass ihr Freund und Lebensgefährte gerade in Taiwan war. Als er wiederkam, habe ich sie gefragt, wie es da so war, was er gemacht hat und ob er da auch Tee getrunken hat. Zum Tee meinte sie völlig entsetzt, dass er dort so viel eingekauft habe, dass sie nicht wisse, wann sie das je alles austrinken sollten. Aus diesem Grund hat sie mir eine Packung davon mitgebracht. Irgendwann danach war sie dann aber doch begeistert von dem Tee und schwärmte von den tollen Aromen und wie er ihr schmeckte. Ich habe ihr zwar angeboten, dass sie den Tee wiederhaben könne, aber sie lehnte ab.Ein kurzer Einschub, bevor es mit dem Tee weitergeht: Vor einiger Zeit ist ein Paket von Petr Novák angekommen und jetzt dürfen zwei kleine Becher aus dieser Bestellung ihr Debut feiern. Den Rest der Bestellung darf ich leider noch nicht aufmachen, da sie mein Geburtstagsgeschenk enthält. Frau S. ist da sehr streng, ich darf es erst nächste Woche auspacken.Der blaue Becher stammt aus einer Serie von mehreren Bechern, die Petr bei seinem letzten Brand hergestellt hat. Wie ich aus Gesprächen mit anderen Tee-Begeisterten entnehmen konnte, bin ich nicht der einzige, der von dieser blauen Glasur begeistert ist. Der Farbübergang der Glasur, der von oben nach unten immer heller wird, erinnert mich an die Strände Okinawas. Am Horizont ist das Wasser sehr dunkel, zur Mitte hin wird es sehr hell und mündet in ein fast türkises Blau. Der zweite Becher, aus einer anderen Serie, führt diese Metapher fort. Die leichte und hellblaue Glasur ist transparenter und lässt den sandigen, etwas rauen Tonkörper darunter gut erkennen und wirkt dadurch wie das Wasser am Strand in der Nähe des Betrachters. Der Nachteil farbiger, insbesondere dunkler Glasuren, ist, dass sie die Farbe des Tees verschleiern. Daher benutze ich solche Utensilien nur, wenn ich die Farbe des Tees schon kenne bzw. einschätzen kann. So wie dieses Mal.
Das Blatt des Tees ist grün, vielleicht nicht so hell wie ein moderner Tie Guan Yin (TGY), andererseits wüsste ich auch nicht, ob ich den rein äußerlich auseinanderhalten könnte. Nur im Duft zeigt sich ein kleiner Unterschied. Der vorliegende Tee hat einen leichten Karamell- und Honig-Geruch, doch auch der Blüten-Duft ist vorhanden, der mich ein bisschen an Tie Guan Yin denken lässt.
Das änderte sich aber schlagartig. Im warmen Gaiwan gerät der Blüten-Duft schon in den Hintergrund und die karamellige Süße wurde dominanter. Doch nach dem ersten Spülgang habe ich nur noch eine Mischung aus Mandeln und Amaretto gerochen. Wow!
Da an diesem Tag nicht so viel Zeit ist, eine lange Tee-Session zu veranstalten, die über 10 Aufgüsse geht, versuche ich die Ziehzeiten etwas zu verlängern, damit die einzelnen Aufgüsse etwas konzentrierter ausfallen. Im ersten Aufguss findet sich der Geruch komischerweise nicht wieder. Im Geschmack notiere ich leichte Mandel, im Abgang die Blüte des TGY, etwas Süße und in der Nase Amaretto. Insgesamt ein lebhafter, frischer Tee. Bei einem weiteren Schnuppern an den nassen Blättern rieche ich Maiglöckchen. Frau S. riecht vor allem mein Aftershave… Wie lange das Zeug doch an den Händen bleibt und sich auf andere Dinge überträgt…
Im zweiten Aufguss bekommt der Tee mehr Körper, schmeckt würziger und vollmundiger. Die Mandel schmecke ich deutlicher und auch die Süße hat zugenommen. Der zuvor beschriebene Duft des Blatts findet sich nun auch in der Tasse wieder.
Im dritten Aufguss bricht der Tee etwas ein. Die Süße nimmt ab und er ist nicht mehr so lieblich. Dafür zeigt sich ein typischer Geschmack, den wohl alle grünen Oolong gemein haben.
Nun erwarte ich ja, dass der Tee ab dem vierten Aufguss immer weiter nachlässt, aber der fünfte wird richtig fruchtig und süß. Leider kratzt der Tee auch im Hals, was ich nicht zum ersten Mal bei einem Tee bemerke. Ich wüsste ja gerne, woran das liegt. Vielleicht weiß jemand von Euch mehr dazu?
Beim sechsten Aufguss hinterlässt der Tee ein cremiges Mundgefühl und schmeckt auch etwas milchiger. Leider müssen wir nach diesem Aufguss los, obwohl der Tee noch nicht am Ende ist. Aber da ich eine 150g-Packung bekommen habe, kann ich mit diesem Tee noch viel experimentieren
.
Die Blätter sind in einem sehr guten Zustand und es bereitet mir Freude sie anzusehen. Kann man daraus ableiten, dass der Tee besonders sorgsam verarbeitet wurde? Ich habe jedenfalls schon TGY gesehen, die ein deutlich strapazierteres Blatt gehabt haben.
Zwischenfazit:
Dieser Tee vereint die Eigenschaften der duftigen blumigen Oolong, wie TGY und die der etwas gerösteten Sorten. Zumindest ist das mein Eindruck und ich frage mich, ob dieser Tee eine leichte Röstung verliehen bekam. Karamell und Amaretto kenne ich sonst nur von solchen Oolong.