Das zweite von drei Sencha-Kultivaren: Yabukita

Das zweite von drei Sencha-Kultivaren: Yabukita

Endlich geht es weiter mit der Versuchsreihe, die ich mit dem Sayama kaori angefangen habe. Es geht darum, herauszufinden, welchen Einfluss die Wahl des Kultivars auf den Geschmack eines Tees hat. Heute ist Japans repräsentativster Teestrauch an der Reihe: Yabukita.

 

800px-Green_tea_leaves
Yabukita-Blätter: Copyright by たね


Yabukita-Kultivar
Yabukita, Japans verbreitetstes Tee-Kultivar, wurde bereits 1908 entdeckt und setzte sich wegen seiner Kälte-Resistenz und seines schnellen Wachstums vor allem in Shizuoka durch. Das ist der Ort, wo die native Art entdeckt und gefördert wurde. 1999 waren 90,6% aller Teesträucher Shizuokas Yabukita-Kultivare. Geschmacklich eignet sich Yabukita vor allem für Sencha, obwohl es auch eine Variation speziell für Kabusecha und Gyokuro gibt. Seine Besonderheiten sind ein sehr intensiver Duft und eine reichhaltige Süße.
Da Yabukita in Japan so stark verbreitet ist (80% aller angebauten Teesträucher!), hat die Verbreitung auch negative Folgen. Der japanische Sencha-Geschmack wurde zunehmend standardisiert und Yabukita-Sencha verlor seine Besonderheit. Vielleicht sind gerade deswegen neue Kultivare auf dem Vormarsch, durch die Teebauern dem Kunden etwas Individuelles bieten möchten.

DSC_0375
Wunderschöne dunkelgrüne lange Blätter!

Blattgut
Auch dieses Blattgut ist zweifellos gut selektiert und hat einen sehr geringen Stengelanteil. Die Blätter sind dunkelgrün, nadelförmig gerollt und duften vielversprechend nach Tannen bzw. Nadelhölzern. Dieser Duft ist so herrlich intensiv, dass er mich sofort an meinen ganz persönlichen Nostalgie-Tee erinnert.
Ich hole nochmal die Packung mit dem Sayama kaori hervor und vergleiche den Duft. Die Blätter des Letztgenannten haben diesen Duft nicht. Daraus kann ich vorsichtig schließen, dass der Duft, den ich so schätze, eher von dem Kultivar abhängt als von der Verarbeitung oder Region. Außerdem wird in japanischen Quellen gerade das intensive Aroma als Besonderheit des Yabukita genannt. In meiner warmen Kyûsu, die ich sorgfältig vorgewärmt habe, entfaltet sich ein neuer Duft, der zuerst an gebrannte Mandeln und Esskastanien erinnert, in der Tiefe jedoch ist ein Hauch von getrockneten Algen verborgen.

DSC_0378
Fertig ist der erste Aufguss

Geschmack
Und wieder bin ich überrascht. Gleich nach dem ersten Brühen ist der Geschmack trotz der hohen Dosierung relativ mild. Den geschätzten tannenartigen Duft habe ich in der Nase, während ich ein sanftes Umami auf der Zunge schmecke. Es ist das erste Mal, dass Frau P. Umami als lecker empfindet. Geschmack kann sich durch erneutes Probieren manchmal verändern, wie ich letztens schon gemutmaßt habe. Das erste Kennenlernen mit dem Yabukita verläuft weich und süß. Man soll ja nichts überstürzen.

DSC_0379

Nach dem zweiten Aufguss ist der Yabukita würziger und edelherb. Im Nachhall kommt ein spinatiger Geschmack. Insgesamt ist er präsenter im Mund, vermittelt einen gehaltvolleren Eindruck während das schöne tannenartige Aroma erhalten bleibt.

DSC_0376
Der dritte Aufguss hat eine tolle Farbe, weil er etwas trüber geworden ist
Insgesamt sechs Aufgüsse macht dieser Grüntee mit und scheint viel Kraft zu haben, da er bis zum Schluss einen zartbitteren Geschmack abgibt, dabei aber immer leichter und süßer wird.
DSC_0381
Leider keine ganzen Blätter, aber die Farbe stimmt

Fazit
Besonders fasziniert bin ich von dem tannenartigen Aroma, nach dem ich schon so lange auf der Suche bin. Auch der kräftige und edelherbe Geschmack ist “genau mein Ding”. Mir fehlt aber, ähnlich wie beim Sayama kaori, der vollmundige Geschmack. Der Yabukita ist zwar lecker, trotzdem scheint er nicht komplett zu sein, was wohl daran liegt, dass auch dieser Tee ein Gartentee ist. Japanische Teataster “blenden” also nicht nur aus Spaß. Im Vergleich war der Sayama kaori fruchtiger, frischer, aber auch bitterer. Das Aroma bzw. der Geruch des Yabukita ist wiederum auffällig anders. Nun bin ich gespannt auf das letzte Kultivar: Oku yutaka!

Japanischer "Pu Erh": Go-ishi-cha

Japanischer “Pu Erh”: Go-ishi-cha

DSC_0396Auf der Suche nach japanischen Tee-Raritäten stieß ich eines Tages auf einen außergewöhnlichen Tee, der auf den ersten Blick ein wenig an Pu Erh erinnert. Seit mindestens 400 Jahren wird er in der Präfektur Kôchi (高知県) auf der Insel Shikoku in einer Stadt namens Ôtoyo (大豊) hergestellt. Das Herstellungsverfahren ist sehr aufwendig und dauert insgesamt bis zu 60 Tage. Das erklärt den verhältnismäßig hohen Preis, denn für 50g dieses Tees muss man in Japan ca. 3000 Yen hinlegen, wofür man auch sehr anständige Gyokuro kaufen könnte. Trotzdem ist dieser Tee weitgehend unbekannt, taucht aber in einigen Aufzählungen japanischer Tee-Raritäten auf. Dank des Internets kann man den Tee immerhin online kaufen, das einzige Problem dabei ist, dass die wenigen Händler, die diesen Tee anbieten, meist kein Englisch sprechen und auch keinen Versand ins Ausland, geschweige denn eine Zahlungsmöglichkeit wie Paypal anbieten.
Auf den zweiten Blick ist dieser Tee dann doch etwas anders als Pu Erh. Das wird am Herstellungsverfahren schnell deutlich, denn für Pu Erh wird der Tee nach dem Pflücken in Pfannen erhitzt, damit die Blätter nicht oxidieren. Hier ist es anders, aber lest einfach weiter.
Kultureller Ursprung
Verfolgt man die Wurzeln dieser Herstellungsmethode zurück, gelangt man zu einer chinesischen ethnischen Minderheit aus Yunnan, den Bulang. Sie haben einen sauren Tee hergestellt, der zuerst durch Pilzkulturen fermentierte, und ihn dann in ein Bambusrohr gesteckt, um ihn unter der Erde zu lagern. Dadurch wurde die anaerobe Gärung in Gang gesetzt, in diesem Fall spricht man von Milchsäuregärung. Dieses Verfahren wird auch beim Go-ishi-cha angewendet, allerdings in abweichender Form.
Herstellung des Go-ishi-cha
Für diesen Tee werden zunächst im Juli die jungen Zweige mit den Blättern abgeschnitten und gesammelt. Es findet aber keine Selektion zwischen jungen und alten Blättern statt. In einem speziellen Kessel wird das Rohmaterial für 1 bis 2 Stunden mittels heißen Wassers bedämpft.
Die Äste und Stiele entfernt man später und legt die Blätter zunächst auf Strohmatten aus, welche mit selbigen bedeckt werden. In diesem Zustand verbleiben die Blätter 7-10 Tage. Da es in dieser Zeit in Japan sehr heiß und schwül ist, sind dies optimale Bedingungen für Pilze und Fermentation.
Der ausgetretene Saft, der vom Dämpfen übrig geblieben ist, wurde aufbewahrt, damit die Blätter nun mit diesem Saft zusammen in speziellen Fässern gelagert werden können. Mittels schwerer Steine wird von oben Druck ausgeübt, damit die Blätter zusammengepresst werden. 20 Tage Lagerung in diesem Zustand führt zur Milchsäuregärung.
Als nächstes schneidet man die Blätter, die jetzt fast eine feste Masse bilden, heraus. Dabei werden sie in die Form kleiner rechteckiger Klötze gebracht. Da diese Form an Go-Spielsteine erinnert, wird der Tee Go-Stein-Tee (Go-ishi-cha 碁石茶) genannt. Bei gutem Wetter werden sie in die Sonne zum Trocknen gelegt. Es dauert aber bis zu drei Tage, bis sie vollständig trocken sind und abgepackt werden können. Bilder zum Herstellungsprozess kann man auf dieser japanischen Seite sehen. 

Bergtee 山茶
Da der Tee in einer hohen Lage geerntet und produziert wird, spricht man auch vom Berg-Tee, der sich besonders gut für die Teeproduktion eignet. Dieser Tee wird in einer Höhe von 430 Metern über dem Meeresspiegel angebaut. Im Vergleich zu Indien, Ceylon, Taiwan und China mag das nicht viel sein, aber es ist genug, damit das Teefeld von Wolken bedeckt und die Länge des Tageslichts erhöht wird.

Zubereitungsweisen
Es gibt zwei Möglichkeiten, den Tee zu brühen. Die erste und einfachste ist, ein Rechteck in ein Kännchen von ca. 300-400ml zu geben, mit kochendem Wasser aufzugießen und 4-5 Minuten ziehen zu lassen. Diesen Vorgang kann man bis zu fünfmal wiederholen, ohne dass sich dabei der Geschmack wesentlich verändert.
Die zweite Methode habe ich noch nicht ausprobiert. Dafür nimmt man ein Rechteck und tut es in einen 1-2l großen Kessel. Dann füllt man Wasser hinein und erhitzt den Kessel bis er kocht. Sobald das Wasser kocht, lässt man den Tee ca. 10 Minuten bei mittlerer Hitze weiterköcheln und fertig ist der Tee. Dies lässt sich ein weiteres Mal wiederholen.

Für meinen ersten Versuch kommt nur meine Oribe-kyûsu infrage, da nur sie ein Volumen von über 300ml erreicht. Ich habe sie auf einem Keramikfestival in Tajimi erstehen können. Da sie innen glasiert ist, kann ich sie vielseitig einsetzen.

DSC_0383
Oribe-kyûsu und zwei Yunomi aus Karatsu und Kôbe

Duft
Die kleinen Rechtecke sollen zwischen 2-3g wiegen. Ich habe dieses kleine Stück nachgewogen und es entspricht tatsächlich dieser Angabe. Interessant finde ich, dass man die Blattstruktur der aufeinander liegenden Blätter sehr gut erkennen kann. Die Blätter sind sehr dunkel und ähneln dem Farbton eines gereiften Pu Erh. Der Duft ist sehr dominant, anfangs etwas säuerlich. Die Packung wurde ein paar Wochen lang nicht geöffnet, vielleicht haben sich die Aromen etwas angestaut.

DSC_0384
Go-ishi-cha

Die Aromen erinnern an getrocknete Früchte, vor allem aber an Pflaumen und Lakritz. Im Hintergrund ist eine starke Säure gepaart mit Bienenwachskerzen. Ich erinnere mich an Lakritzschnecken, die ich an einem heißen Sommertag aus der Tüte holte.

DSC_0387

Blatt
Beim Begutachten der Blätter fällt mir zuerst die gepresste Struktur der Blätter ins Auge. Man kann die einzelnen Lagen sehr gut erkennen. Fast jede Lage besteht aus zwei Blättern, die ungewöhnlich groß sind. So große Blätter haben nicht viele Tees, aber bei Oolong kann das schon mal vorkommen.

DSC_0391
Erster Aufguss in der Oribe-kyûsu

Aroma und Geschmack
Nach dem ersten Brühen ändert sich der Duft. Die Blätter sind jetzt heiß und duften mehr nach Zitrone, aber auch nach etwas, was Chlor (Zitat Frau P.: “Schwimmbad!”) am nächsten kommt. Nicht ganz so angenehm, aber man soll den Tee ja schließlich trinken, ne?

DSC_0396

Die Brühe ist nach so viel Ziehzeit dunkelgelb, ich hätte einen dunkleren Farbton erwartet. Im Geschmack befürchte ich Schlimmes, nachdem ich von Gero gehört habe, dass der Tee unglaublich sauer schmeckt. Ich habe ihm zu Weihnachten eine kleine Probe davon gegeben, ohne selbst etwas von dem Tee probiert zu haben. Aber da Gero den Tee anscheinend wie einen Pu Erh zubereitet hat und ich mich an die Empfehlung des Herstellers halte, sind die Befürchtungen unbegründet. Um Gero zu überraschen, habe ich ihm nicht verraten, um welchen Tee es sich handelt.
Beim ersten Schluck denke ich zunächst an Zitronentee. Die Säure macht den eher leichten Tee sehr erfrischend. Bei genauerem “Hinschmecken” zeigen sich noch Süßholz- bzw. Lakritzaromen. Doch da ist noch etwas, etwas, das typisch japanisch schmeckt. Es handelt sich um zwei Algenarten, die häufig verwendet werden: Konbu und Hijiki. Vielleicht ist das der Grund, weswegen man diesen Tee auch zum Kochen von Reissuppe verwendet.

DSC_0392
Zweiter Aufguss in der Karatsu-Tasse

Der zweite Aufguss ist etwas heller und schmeckt noch frischer, ist noch vollmundiger. Einfach lecker!

DSC_0395

Auch beim dritten Aufguss lässt der Tee kaum nach. Angeblich würde er sogar noch zwei weitere Runden durchhalten, aber wir sind uns einig, dass wir nach 600ml pro Nase erstmal genug haben und brechen an dieser Stelle lieber ab. Geschmeckt hat er uns aber, dieser ungewöhnliche Japaner.

DSC_0402
Schöne erhaltene Blätter

Fazit
Es ist immer wieder schön, wenn man in der Teewelt unbekannte Schätze entdeckt. Mich hat der Tee und sein eigentümlicher Hintergrund sehr begeistern können. Frau P. und ich sind uns einig, dass wir den Tee gerne ein weiteres Mal trinken werden. Mich würde noch interessieren, wie der Go-ishi-cha schmeckt, wenn man ihn wie einen Pu Erh zubereitet. Gero hat damit schon Erfahrungen gesammelt und wird mir daher den ein oder anderen Tipp geben können. Vielen Dank an Familie Hyoma für diese edle Spende!

Pu Erh: eine Frage der Genussfähigkeit?

Angeregt durch mein Ringen mit der Frage, ob ich Pu Erh überhaupt genieße oder mir den Genuss nur einbilde, stieß ich auf ein paar interessante theoretische Anätze über Genussfähigkeit von Lebensmitteln, die ich mit euch teilen möchte.

Was als Genuss gewertet wird, ist zunächst kulturell bzw. sozial bedingt. In Deutschland gilt Brot beispielsweise als äußerst genießbar, aber fragt mal Menschen aus Kulturen, in denen Brot höchstens als Toastbrot bekannt ist. Ich habe schon häufiger festgestellt, dass Freunde aus dem Ausland mit diversen Brotsorten zu kämpfen hatten, weil sie ihnen einfach nicht schmeckten.
Geschmack ist außerdem ein Merkmal gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse. Soziale Milieus grenzen sich gegeneinander ab, wenn sie beispielsweise Kaviar als Schickimicki oder ein Bauernfrühstück als unkultiviert bezeichnen. Sag mir, was du isst und ich sag dir, woher du kommst, würde Bourdieu sagen. Dem armen Bauern schmeckt der Tee mit Zitrone ganz vorzüglich, dem Adeligen mundet nur die gehobene Qualität, heute wäre es der 50 Jahre alte Pu Erh, der so viel kostet wie ein Neuwagen oder die begehrteste Pflückung des  Long Jing, die einen höheren Grammpreis erzielt als Gold.

Was bedeutet das in Bezug auf Tee? Es bedeutet, dass es von unserer Herkunft abhängt, ob wir überhaupt einen Zugang zu Tee haben oder finden. Sie bestimmt auch, mit welchen Lebensmitteln wir aufwachsen, welche Essgewohnheiten wir entwickeln und was wir schließlich als lecker empfinden. Ferner bedeutet es auch, dass wir mittels unseren Essgewohnheiten unseren materiellen Wohlstand ausdrücken. Dies geschieht bewusst bzw. unbewusst und Tee kann dabei schnell zum “Prestigeschluck” werden.

Interessant wird es, wenn man versucht seine natürlichen Geschmacksgrenzen zu durchbrechen. Viel hängt davon ab, mit welcher Einstellung man den Tee trinkt. Man benötigt eine gewisse geistige Offenheit für bestimmte Teesorten, weil der Geschmack ungewohnt sein kann. Was tut man, wenn man die Aromen zwar aus (auf den ersten Blick irritierenden) Kontexten kennt und plötzlich im Mund hat? Gras, Holz, Pilze, Waldboden, alte Bücher und Blumenerde sind nicht gerade Aromen mit denen man kulinarisch aufgewachsen ist. Der eine wird den grasigen Duft eines Sencha lieben, ein anderer hingegen ablehnen. Hier kann einem ein skeptischer Ansatz à la “was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht” also durchaus im Wege stehen.

Genuss lässt sich nämlich auch erlernen. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich viele Lebensmittel beim ersten Versuch abstoßend fand. Pilze, herbes Bier, Nattô und eingelegter Ingwer sind meine persönlichen Beispiele für Genussmittel, an die ich mich erst gewöhnen musste und jetzt sehr gerne mag. Erneutes Probieren hat dazu geführt, dass ich mich an den Geschmack gewöhnte und eines Tages als lecker empfand.

In der Soziologie und Erziehungswissenschaft wird Bildung neuerdings als ein möglicher Schlüssel für ein tieferes kulturelles Erlebnisvermögen angesehen. Wer sich kulturell bildet, ist eher in der Lage, klassische Musik und Kunst zu genießen. Die Genussfähigkeit ist also nicht endgültig determiniert, sondern negativ ausgedrückt manipulierbar. So lange am Ende ein echter “Lustgewinn” (Freud lässt grüßen) entsteht, kann dies uns egal sein. Es würde sogar Sinn machen, diesen Umstand für uns zu nutzen und unsere Genussfähigkeit zu erweitern, indem wir unseren Horizont öffnen.

Etwas, was nicht auf Anhieb schmeckt, kann im wahrsten Sinne des Wortes genießbar werden. Unsere geschmacklichen Präferenzen sind nicht angeboren, sondern gelernt. Holz-Aromen können für Wein- und Whisky-Liebhaber durchaus positive Charakteristika sein, wieso also nicht auch für Teetrinker? Wer neuen Tee probiert, sollte vielleicht versuchen, sich die geistige Offenheit eines Reisenden für die kulturellen Schätze dieser Erde zu bewahren. In jeder Kultur gibt es eine Vielfalt an kulinarischen Besonderheiten, die erst auf den zweiten oder dritten Biss (oder Schluck) zum Genuss werden. In Japan isst man z.B. Algen, Miso und Tofu – geschmacklich für viele Westler eine unbekannte und gewöhnungsbedürftige Welt. Es ist nicht zu spät, diesen Geschmack neu für sich zu entdecken und so ist es auch mit Tee. Schließlich sind erlesene Tee-Spezialitäten ausländische Erzeugnisse und es kann sich lohnen, sich auf sie einzulassen, selbst, wenn sie einem nicht sofort zusagen. Andererseits macht es auch wenig Sinn, sich zum Genuss zu zwingen, wenn der Würgreflex kommt.

Vor diesem Hintergrund ist Pu Erh vielleicht das Mittel der Wahl, um die eigenen natürlichen Grenzen der Genussfähigkeit zu durchbrechen. Wahrer Genuss stellte sich bei mir bisher nur selten. Diesbezüglich habe ich also noch viel Luft nach oben. Aber ich versuche es hartnäckig weiter.

Eines von drei Sencha-Kultivaren: Sayama kaori

Eines von drei Sencha-Kultivaren: Sayama kaori

Eine Diskussion im Teetalk-Forum führte zu der Frage, wie hoch der Einfluss des Kultivars auf den Geschmack eines Tees ist. Es gibt verschiedene Faktoren, die den Geschmack beeinflussen können. Neben klimatischen Bedingungen, wozu auch die saisonale Wetterlage zählt, wird auch dem Anbau (z.B. Dünger) und der Verarbeitung eine große Rolle zugeschrieben. Dass es verschiedene Kultivare gibt, die ähnlich den Reebsorten auch einen gewissen Einfluss auf den Geschmack haben, wird zwar eingeräumt, doch wie hoch dieser ist, lässt sich nur schwierig recherchieren.
Der Teefreund Stefan hat bei Thé du Japon drei Tees entdeckt, die alle vom selben Produzenten stammen und auf benachbarten Teefeldern angebaut werden. Das bedeutet, dass die oben genannten Bedingungen sehr ähnlich sind, so dass man, so die Theorie, die Besonderheit des Kultivars herausschmecken können sollte.Herkunft
Die Tees werden in Shimizu, einem Bezirk in Shizuoka, angebaut. Der erste Tee, den ich probiere, ist ein Sencha aus dem Sayama kaori Kultivar. Dort verarbeitet Yamamoto Kengo den Tee im Stile des gewöhnlichen Dämpfverfahrens (futsûmushi). Wie wird er wohl schmecken und was werden die Unterschiede zu den anderen Kultivaren sein? Sayama kaori wird vorwiegend in der Präfektur Saitama angebaut. Die dicken Blätter eignen sich sehr gut, um die frostigen Winter überstehen zu können. Im Geschmack zeichnet sich dieses Kultivar durch seine Herbheit aus.Zubereitung
Der erste Zubereitungsversuch schlug fehl. Was bei anderen Sencha hervorragend klappt, führte hier zu einer schwer genießbaren Brühe. Bei 5g auf 100ml und 90 Sekunden Ziehzeit bei ca. 80°C heißem Wasser wurde der Tee leider zu kräftig, einfach ein Tick zu bitter. Eine kleine Veränderung führte aber zu einem sehr zufriedenstellenden Ergebnis (5g auf 100ml, 60, 10, 30, 20, 20, 30, 45).

DSC_0298

Blatt
So sorgfältig selektierte Blätter sieht man selten für das Geld. Das ist schon ein prächtiger Anblick, der sich dem Auge offenbart. Tiefes grün, wenig Bruch, schöne nadelige Blätter, die einen feinen Duft ausströmen. Optisch sehr überzeugend, alle Achtung!

Duft
Der Duft steht dem Aussehen der Blätter nicht nach. Es ist ein intensives Aroma mit einer schmeichelnden Süße. Der etwas gemüsige Duft lässt mich an Multivitaminsaft denken, den ich in Japan getrunken habe. Der bestand aus einem Mix aus Obst und Gemüse (unter anderem Rote Beete). Eine durchaus angenehme Assoziation.
In der aufgewärmten Kanne gesellen sich leichte Röstnoten dazu. Für mich sind das gebratene Zwiebeln oder doch eher Knoblauch? Dabei ist noch würzige Alge, eine herzhafte Mischung also.

DSC_0313

Geschmack
Vor dem ersten Aufguss bin ich gespannt, ob 30 Sekunden weniger Ziehzeit wirklich ausreichen, um die Adstringenz zurückzudrängen. Und ja, 30 Sekunden machen einen sehr deutlichen Unterschied aus. Keine Spur Adstringenz, dafür ein ausgewogener Umami-Geschmack, die typische süße und gemüsige Note kommt gut durch. Frau P. sagt voller Überzeugung, dass sie Pfirsich schmeckt, ich stimme zu, da ist wirklich etwas davon dabei. Sehr auffällig ist auch, dass der Geschmack lange im Mund anhält, so dass ich mich ihm für eine Weile hingebe und mir Zeit mit dem nächsten Aufguss lasse. Vielleicht kommt das durch die fast schon ölige Konsistenz?

DSC_0303

Der zweite Aufguss wird plötzlich herber, aber auch würziger. Mir macht die Herbheit nichts aus, ich bin bis zu einem gewissen Maß ein Fan davon. So wie jetzt, würde ich den Geschmack als “kernig” bezeichnen, der außerdem an Frische grüner Äpfel gewonnen hat.

DSC_0318

Insgesamt haben wir sieben Aufgüsse zubereiten können, eine gute Ausdauer hat er also. Das zeigte sich auch darin, dass er etwas unerwartet im sechsten Aufguss wieder etwas herber wurde. Natürlich waren die beiden ersten am intensivsten, aber gerade deswegen weiß ich danach die unkomplizierten und dünneren Varianten umso mehr zu schätzen. Da will ich einfach nur genießen und so intensive Eindrücke machen die Geschmacksknospen auch nicht auf Dauer mit.

DSC_0328

Fazit
So, das war also der erste der drei Tees und gleichzeitig der Ausgangspunkt unseres Versuchs. Auch der Sayama kaori hat ähnlich wie dieser Gartentee hier und da seine Ecken und Kanten, die mir aber durchaus gefallen haben. Im direkten Vergleich, den ich mir an dieser Stelle erlaube, fand ich ihn sogar noch etwas runder. Und vom Aussehen der Blätter bin ich noch immer begeistert… So viel darf aber schon verraten werden: die beiden anderen sind mindestens genauso schön anzusehen!

Endlich wieder Tee: Oolong aus Nordthailand

Endlich wieder Tee: Oolong aus Nordthailand

Wie einige vielleicht bemerkt haben, kam der Blog in letzter Zeit zu kurz. Das lag nicht daran, dass ich vom Tee die Schnauze voll hatte, ganz im Gegenteil, ich sehnte mich nach einer ruhigen Minute, in der ich die Muße habe, mich meiner Leidenschaft intensiv zu widmen. Aber eine Folge des Arbeitslebens ist, dass man für Hobbys weniger Zeit hat. Dabei habe ich das Glück berufsbedingt mehr Tee zu trinken als ich es jemals tat, nur ist das etwas komplett Anderes. Eine weitere Folge des Arbeitslebens ist, dass man weniger Zeit hat, bewusst Tee zu trinken. Und wenn ich schon die Gelegenheit habe, Tee zu trinken, dann muss er auch schmecken. Früher hatte ich morgens Zeit für zwei Tees, jetzt reicht es nur noch für einen. So habe ich mich dabei ertappt, dass ich die “suboptimalen” nach und nach aussortiere – “das Leben ist zu kurz für schlechten Tee”, habe ich mal irgendwo gelesen und just in dem Moment ist mir wieder in den Sinn gekommen, wie wahr dieser Satz ist.

Erschwerend kam in den letzten Wochen hinzu, dass wir umgezogen sind. Endlich! Denn was ich hier nicht geschrieben habe, war, dass wir in unserer letzten Wohnung sehr unglücklich waren. Es war eine Wohnung aus den frühen 50ern und extrem hellhörig. Eine intime und geborgene Wohnatmosphäre ist vor allem seit unserem neuen Nachbarn und seinen ständigen abendlichen Besuchen nach und nach verloren gegangen, so dass ich mit der Unterschrift des Arbeitsvertrags auch gleich die Kündigung der Wohnung unterschrieben habe.
Jetzt sind wir also umgezogen und fast eingerichtet. Ein paar Kleinigkeiten fehlen leider noch, aber den größten Teil haben wir an den letzten Wochenenden nach und nach schaffen können. Heute ist der erste halbwegs freie Samstag, an dem ich wieder die Lust auf eine dokumentierte Einkehr zum Tee hatte. Die Sonne ist schon untergegangen und ich merke, dass es schwierig wird, bei diesen Lichtverhältnissen zu fotografieren.
Als ich Frau P. vorhin fragte, welchen Tee wir heute trinken sollen, kam wie aus der Pistole geschossen “Oolong-cha!”. Frau P. mag Oolong-cha sehr gerne, und wenn ich in der Vergangenheit die Frage gestellt habe, welchen Tee wir trinken sollen und sie mit “Oolong-cha!” antwortete, habe ich sie immer auf den Zeitpunkt nach dem Umzug vertröstet, weil ich mir dafür lieber etwas mehr Zeit nehme, so wie heute.
Also Oolong, aber welchen? Eigentlich wäre jetzt die richtige Zeit für einen richtig schönen und würzigen dunklen Oolong, aber vielleicht gerade deswegen entscheide ich mich immer für das Gegenteil, um die Vorfreude auf solch einen Tee noch etwas hinauszuzögern und zu genießen. Klingt unlogisch? Ist auch so. Deswegen komme ich nie dazu, meine kostbarsten und interessantesten Tees zu trinken. Vielleicht möchte ich diese Tees auch einfach mit so vielen Menschen wie möglich teilen, wie z.B. im Januar, wenn zwei Teefreunde, die ich über Teetalk kennengelernt habe, zu Besuch kommen.
Ich mache also meine Teekiste auf und sehe zuerst eine kleine Teeprobe aus Thailand, die mir ein Freund von dort mitgebracht hat. Oolongs aus Thailand kenne ich durch Thomas Kasper schon ganz gut und wenn ich mich nicht täusche, dann müssten die Tees aus einem königlichen Projekt, die ich mitgebracht bekommen habe, sogar identisch mit jenen aus Thomas’ Sortiment sein, oder?
Tee aus Nordthailand ist ein sehr spannendes Thema und ein schönes Beispiel dafür, dass eine Gesellschaft den Umstieg von Opium-Produktion auf Tee wirtschaftlich verkraften kann. Da diese Geschichte von Thomas sehr gut und anschaulich erzählt wird, möchte ich mich dazu nicht weiter äußern und stattdessen seine guten Artikel zu diesem Thema empfehlen.
Da ich Thai leider nicht lesen kann, weiß ich nicht wie der vorliegende Oolong heißt. Die Blätter sind zu dunkelgrünen Kügelchen gerollt. Der chinesische Trend, Oolongs wie den Tie Guan Yin immer grüner zu produzieren, ist also auch nach Thailand übergeschwappt. Und ich verrate nicht zu viel, wenn ich schon sage, dass die Parallelen eines modernen Tie Guan Yin zu dem jetzt getrunkenem Oolong erstaunlich sind!
DSC_0276

 

Der Duft der trockenen Blätter ist schön blumig wie blühende Sträucher und erinnert etwas an Akazienhonig. Etwas angewärmt vernimmt Frau P. auch einen Hauch von Grünkohl, diesem Eindruck kann ich zustimmen.
DSC_0286
Strahlendgelbe Tasse

Der Geschmack ist anfangs noch sehr verhalten. Leichte Süße, eine Spur Muskatnuss, insgesamt ein “grüner Geschmack”. Die späteren Aufgüsse werden aber würziger, manchmal schmecken wir eine leichte Vanille-Note, dann etwas Mandel, insgesamt ein sehr leicht zu genießender Tee, dem durch seine grüne Verarbeitung ein bisschen die Tiefe fehlt.

DSC_0288
Die typischen großen Blätter eines Oolong

 

Dafür hat der Tee etwas Anderes zu bieten: Ab dem sechsten Aufguss, dem Zeitpunkt, ab dem der Tee etwas dünner wird, zeigt sich ein Geschmack, den ich vielleicht als Tee-Geschmack bezeichnen könnte. Gero hat meines Wissens nach als erster die Theorie aufgestellt, dass alle Tees der Pflanze Camellia Sinensis einen gemeinsamen Tee-Geschmack aufweisen. Ich kann diese Theorie (noch) nicht ganz bestätigen, aber auch ich sehe Parallelen zwischen den verschiedenen Tees und der Geschmack, den ich mit dem “Tee-Geschmack” assoziiere, ist (für mich) am deutlichsten bei grünen Oolongs ab dem sechsten Aufguss zu schmecken. Interessant sind auch die Meinungen anderer Teefreunde zu diesem Thema, z.B. im Teetalk-Forum.Fazit:
Ein schöner Oolong, der einem neben dem gefälligen Geschmack auch gleich ein gutes Gewissen macht. Man darf gespannt sein, was die Teebauern in Zukunft für Qualitäten produzieren. Besten Dank, lieber Jan! Wenn Du wieder da bist, laden wir Dich gerne auf eine Tasse ein!

Pu Erh: Mehr Fragen als Antworten

Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der gerne Neues probiert. Vielleicht ist das sogar eine große Schwäche, weil ich mich nie mit einem Tee zufrieden gebe. Bei einem wohlschmeckenden Tee stehenzubleiben, ist nicht mein Ding, stattdessen bin ich der Überzeugung, dass es noch so viel Unentdecktes gibt, dass der Tee von heute vom Tee von morgen übertroffen werden kann. Zwar gibt es einige Teesorten, auf die ich mich festgelegt habe, aber das sind ausschließlich Schwarztees. Bei Pu Erh hingegen bin ich noch fast ein unbeschriebenes Blatt. Es gibt einige Pu Erh, die mir geschmeckt haben. Dazu gehört z.B. ein ganz gewöhnlicher Jingmai aus dem Jahr 2010. Neben diesem Tee gab es allerdings eine ganze Reihe Pu Erh, die mir gezeigt haben, was ich nicht mag.

Dazu gehört ein zu intensives Tabakaroma gepaart mit Rauch. Mir als ehemaligem Raucher kommen dabei bereits beim ersten Spülen des Tees negative Assoziationen, wie z.B. das Abwaschen des Aschenbechers unter fließendem Wasser. Zum Glück soll zumindest der Rauch über die Jahre schwächer werden, doch ob der Tee je den Zustand erreicht, in dem er mir schmeckt, kann nur die Zeit bzw. meine Geduld beantworten.

Der Geschmack eines Pu Erh unterscheidet sich meiner Meinung nach eh komplett von dem seiner Verwandten wie z.B. Grün- oder Schwarztee. Der Geschmack und Duft der letztgenannten Sorten erinnern häufig an Aromen aus der Welt des Kulinarischen. Sicherlich gibt es dabei Ausnahmen, aber für mich ist es die Regel. Bei Pu Erh hingegen ist es genau andersherum. Es sind häufiger Aromen aus der Umwelt und das ist irritierend. So ertappe ich mich häufig dabei, wie ich auf der Suche nach der passenden Assoziation wie in einem Nebelfeld umherirre. Die Aromen, die ich für mich identifiziere, hören sich für unkundige Leser vielleicht noch irritierender an. Wer möchte schon auf einem Stück Leder herumkauen oder flüssiges Holz im Mund spüren. Waldboden, Moos oder der Geruch von alten Büchern – das alles mag abenteuerlich und zuweilen nostalgisch klingen, aber sind diese Aromen genießenswert? Zumal man für diesen Geschmack immer tiefer in die Tasche greifen muss, da Pu Erh auf dem chinesischen Markt immer stärker nachgefragt wird. Was macht den Genuss von Aromen aus, die eigentlich ungenießbar sind? Genießen wir, weil wir es können, weil es vielleicht sonst keiner tut und wir deswegen denken, wir würden etwas Besonderes tun? Zu dieser Frage hat Jinx eine gute Antwort für sich gefunden, die Neugier auf den Geschmack. Das kann ich bejahen, aber diese Fragen stehen für mich immer im Zusammenhang mit der Einsicht, dass Schwarztees oder Oolong solch exquisite Aromen exotischer Früchte enthalten können, dass der Genuss jener zumindest “authentisch” und für Außenstehende nachvollziehbar ist. Frau P. hat da ihre eigene Meinung. Wenn ich sie Pu Erh kosten lasse, dann sagt sie immer, dass es zwar nicht schlecht rieche bzw. schmecke, nur halt nicht nach etwas Ess- bzw. Trinkbarem, weswegen sie ihm nichts abgewinnen könne.

Meine vorläufigen Antworten klingen daher eher nach Ausreden. Und überhaupt bereiten mir Pu Erh ganz andere, viel existenziellere Sorgen wie die der richtigen Zubereitung. Denn manchmal schmeckt mir ein hochdosierter Pu Erh, den man über 20 mal aufgießen kann, gar nicht. Das ist mir letztens aufgefallen, als ich einen Dayi zubereitet habe. Das Seltsame daran ist, dass er mir vorher geschmeckt hat. Liegt es an meiner Tagesform oder habe ich falsch dosiert? Dann bin ich dazu übergegangen den Tee, wie einen Schwarztee zu brühen: ein paar Blätter in die Gaiwan, kochendes Wasser drüber und nach drei Minuten abgegossen. Das Ergebnis war verblüffend und kaum wiederzuerkennen, denn der Aufguss schmeckte richtig fruchtig, fast wie ein Grüntee. Sollte ich jetzt alle so zubereiten oder einfach noch mehr experimentieren? Auch ein Versuch mit einem Ming Feng von Bannacha bestätigt meine Präferenz dieser Zubereitungsmethode bei jungen Pu Erh. Ist es vielleicht deswegen, weil junge Pu Erh konventionellen Grüntees ähneln wie Marshaln in seinem Blog beschreibt?

Wie ihr seht, werte Leser, entpuppt sich Pu Erh als eine große Herausforderung an mich selbst, an meine Sinne, an meinen Verstand und an meine Urteilskraft. Die Beschäftigung damit ist andererseits sehr fruchtbar, denn sie regt zum Nachdenken an. Und schließlich scheint Pu Erh, wie kein anderer Tee die Kraft zu haben, jemanden in seine Kindheit zurückzuversetzen und ihn an längst vergessene Begebenheiten zu erinnern. Diese Eigenschaft hat Gero letztens sehr gut auf den Punkt gebracht.

So bleibt Pu Erh für mich ein spannendes und forderndes Thema. Gerade weil der Genuss nicht unmittelbar erfolgt, hat er das Potenzial, ein tiefgründigeres Erlebnis zu erzeugen. Oder ist das alles nur Einbildung?

Unter Teefreunden

Wenn man ein Tee-Nerd ist, dann kann einem nichts Besseres passieren, als den Gegenstand seines fanatischen Interesses zum Beruf zu machen. Diesen Monat habe ich diesen Schritt geschafft, auf den ich lange hingearbeitet habe. Als Japanologe ist man ja schon glücklich, überhaupt den Berufseinstieg nach dem Studium zu schaffen. Dass es bei mir auch noch bei einem japanischen Tee-Unternehmen geklappt hat, macht mich umso glücklicher, denn es ist heutzutage ein Privileg, einen Beruf auszuüben, an dessen Inhalt man seinen Verstand verloren hat.

Knapp zwei Wochen sind nun rum, besonders spannend sind natürlich die Blicke hinter die Kulissen des Teehandels, die einem sonst verborgen bleiben. Diese werde ich in diesem Blog oder privat allerdings nicht offen legen, denn meine Schweigepflicht nehme ich sehr ernst.
Zurück zu den Privilegien. Letzte Woche durfte ich ein Matcha-Seminar begleiten, welches bei TeeGschwendner stattfand. Einerseits war dies eine gute Gelegenheit, einen geschätzten Kunden kennenzulernen, andererseits war die Schulung, die eigentlich den Franchise-Partnern vorbehalten war, eine gute Gelegenheit, um selbst die ein oder andere Information zu diesem einzigartigen Produkt zu erfahren. Aber dazu vielleicht ein anderes Mal mehr.
TeeGschwendner kenne ich sonst nur aus Kundensicht. Damit meine ich, dass ich als aufmerksamer Leser ihre Prospekte kenne und die führenden Personen zumindest schon mal “gelesen” bzw. in 2D “gesehen” habe. Umso neugieriger war ich auf das “Herz” des Unternehmens, dem Ort, an dem TeeGschwendner strategisch geplant wird, dem Ort, an dem die Tees verkostet und ausgewählt werden, wo alles zusammenläuft.
Besonders positiv ist mir aufgefallen, dass die Menschen, egal in welchen Positionen sie arbeiten, sehr nett zu uns Besuchern waren. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn häufig steht man als Besucher im Weg und hält die Leute von ihrer Arbeit ab. Da wir auch Gespräche mit den Partnern und Angestellten führen konnten, habe ich schnell gemerkt, dass man als Tee-Nerd hier gut aufgehoben ist und Tee nicht nur verkauft, sondern von jedem auf seine eigene Weise gelebt wird.
Besonders wichtig war mir allerdings, dass ich unseren Teefreund Gero treffen konnte. Er hat sich die Zeit genommen, uns das Unternehmen im Schnelldurchlauf zu zeigen, wofür ich sehr dankbar bin. Es war ein kleiner Ersatz dafür, dass ich nicht Teil der kleinen Delegation des Teetalk-Forums sein konnte, die nach Meckenheim pilgerte, um dort das Unternehmen zu besichtigen und anschließend zusammen eine Menge Tee bei Gero zu trinken. Zu letzterem kam es bei uns nicht, schließlich war ich “beruflich” dort. Aber ich denke uns beiden ist klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, dies nachzuholen. An dieser Stelle möchte ich mich nochmal für die letzte Packung des Nepal Special Sunderpani bedanken, die Gero netterweise gefunden und für mich aufgehoben hat. Meine guten Manieren habe ich in Hamburg gelassen. Ein gut erzogener Teefreund hätte bei dieser Gelegenheit auch etwas zum Überreichen dabei gehabt. Grund genug schnell wiederzukommen 🙂
Morimoto Shincha 2013

Morimoto Shincha 2013

Seit geraumer Zeit kursiert unter Sencha-Freunden der Name Morimoto – das ist der Name einer Familie, die auf Kyûshû in der Präfektur Miyazaki Tee anbaut. Das Foto des Ehepaares Shigeru und Haruyo Morimoto ziert die Rückseite der silbernen Verpackung und vermittelt so den Eindruck eines vertrauten und persönlichen Produkts, ganz im Gegensatz zu den sonst sehr anonym und fremd wirkenden Tee-Produkten aus unseren Regalen.

Die Morimotos bauen auf ihren Feldern verschiedene Tee-Kultivare an. Yutaka Midori und Saki Midori heißen sie, und sorgen laut Informationstext für eine runde Ausgewogenheit, einen blumigen Duft und im richtigen Mischverhältnis ergebe sich “ein frischer, leichter, blumig-duftender Tee mit angenehmer Süße”. Bisher habe ich allerdings gelesen, dass der Einsatz verschiedener Kultivare nicht zwingend geschmackliche, sondern vielmehr praktische Gründe hat – die Familie Morimoto wird es im Zweifel sicher besser wissen. Dadurch, dass Japan verschiedene Klimazonen hat, gedeihen bestimmte Sorten in kühleren bzw. heißeren Gebieten besser als andere. Weitere Gründe für abweichende Kultivare sind Resistenzen gegen gewisse Pilze, Krankheiten und Insekten. Einer der Hauptgründe auf dem heutigen Shincha-Markt ist das schnellere Wachstum bestimmter Kultivare. Es leuchtet sicher jedem ein, dass bei der immer größer werdenden Shincha-Nachfrage jener Bauer im Vorteil ist, der am frühesten in der Lage ist, guten Tee zu verkaufen. Die hier eingesetzten Kultivare gehören zu den schnell wachsenden Sorten. Die Familie Morimoto kann also ihr Produkt früh auf dem Markt platzieren.
Eine weitere Besonderheit dieses Tees ist, dass er von der Familie selbst hergestellt wird. Das ist in Japan eigentlich unüblich, denn normalerweise verkaufen die Teebauern ihren Rohtee (Aracha) an große Unternehmen, die den Tee in verschiedene Kategorien selektieren und anschließend mit anderen Partien blenden, um einen bestimmten Geschmack zu erzielen.
Meiner Meinung nach spiegelt sich die Philosophie der Morimotos auch im Geschmack wider. Der Tee hat für mich sympathische Ecken und Kanten, schmeckt mir insgesamt gut. Jeder kann sich denken, dass es schwieriger ist, aus einer Ernte ein gutes Endprodukt herzustellen, denn man hat wenig bis gar keine Möglichkeiten, den Geschmack durch Zugabe von anderen Ernten in die ein oder andere Richtung zu optimieren. Daher ist ein Vergleich mit einem Blend eigentlich etwas unfair. Aber wie soll man sonst einen Shincha beurteilen?

DSC_0115

Aussehen
Die Blätter sind überwiegend dunkelgrün, die hellgrünen Partikel sind jedoch Stiele. Wenn Tee-Unternehmen den Aracha weiterverarbeiten, dann werden die Stiele von den guten Blättern durch eine Maschine getrennt, die mittels Sensor die helleren Partikel aussortiert. Es scheint, als wäre dieser Schritt hier ausgelassen worden.

DSC_0117


Duft
Öffnet man die Packung, kommt einem ein frischer Duft entgegen. Natürlich riecht der Tee vorwiegend nach Sencha, doch hinter dieser Fassade ist noch etwas Anderes: Minze gepaart mit Schokolade, also After Eight? Ich bin ja gespannt, was Frau P. dazu sagt und reiche ihr die Tüte: “Zahnarzt…” Ich schreibe das deswegen, weil es Menschen da draußen gibt, die mehr Wert auf Frau P.’s Meinung legen als auf meine und das ist auch in Ordnung so. In der warmen kyûsu sieht es hingegen ganz anders aus. Der Duft verliert seine Frische, aber zeigt eine kräftige Süße und riecht jetzt nach Spinat.

DSC_0119

Geschmack
Trotz der recht hohen Dosierung (9g auf 270ml) schmeckt der erste Aufguss überraschend schwach, für Frau P. nichtssagend. Keine Spur von der feinen Herbe, aber wenn ich mich auf den Tee konzentriere, dann ist da eine Kohlrabi-Note, eine leichte Süße, vielleicht auch etwas Umami. Ansonsten keine besonderen Auffälligkeiten und für einen ersten Aufguss fast schon etwas langweilig.

DSC_0121
Hier sieht man ein schönes und klares Grün

Beim zweiten Aufguss ändert sich das Geschmacksbild, was man beim Anblick der Tassenfarbe schon erahnt. Man sieht jetzt ein sattes und trübes Grün. Als hätte sich der Tee all seinen Geschmack für den zweiten Gang aufbewahrt, so zeigt er eine schöne Süße und milde Herbe. Auf der Zunge ist er leicht cremig und erinnert etwas an Matcha. In der Nase habe ich den Duft von frischen Tomatensträuchern. Wirklich lecker, das findet auch Frau P.

DSC_0125
Die trübe Tassenfarbe erinnert stark an Fukamushi Sencha

Beim dritten Durchgang baut er dann leider etwas zu stark ab. Er ist natürlich weiterhin genießbar, aber vielleicht bin ich schon durch meine (zu) hohen Dosierungen etwas verdorben, um den sanften Geschmack noch schätzen zu können.

DSC_0127
Der dritte Aufguss wiederum fällt recht klar aus
DSC_0123
Optisch stimmt hier alles!

Fazit
Es fehlt mir hier und da etwas, der Tee ist mir nicht rund genug. Das erklärt sich fast von selbst, schließlich konnte mich nur einer von drei Aufgüssen wirklich überzeugen. Ich weiß jedoch, dass der Tee der Morimotos viele Fans da draußen hat, die sich den Shincha auch etwas kosten lassen. Vielleicht bin ich also einfach nicht der richtige Typ für diesen Tee. Oder es liegt daran, dass ich von Blends ein runderes bzw. “vollständigeres” Geschmacksprofil gewohnt bin.

Dazu gab es übrigens noch ein kleines omiyage aus Japan, welches uns meine Schwester mit ihrem Freund mitgebracht hat. Es handelt sich um eine Mochi-Spezialität aus Kyôto. Sie hat natürlich genau die richtige Packung für ihren Bruder herausgesucht, denn die eine Sorte der yatsuhashi ist mit Matcha gemischt, die andere mit Gyokuro aus Uji. Aber wenn ich ehrlich bin, dann hat nur die Matcha-Sorte wirklich nach Grüntee geschmeckt, aber lecker waren beide! Vielen Dank, liebe Schwester!

DSC_0128

 

DSC_0131
Unglaublich lecker!

 

Was einen Fukamushi Sencha so besonders macht

Was einen Fukamushi Sencha so besonders macht

Ich habe mich festgelegt. Endlich habe ich so etwas wie einen Favoriten unter den japanischen Tees. Es hat einige Zeit des bewussten Tee-Trinkens gebraucht, um zu dieser eigentlich recht einfachen Erkenntnis zu gelangen. Und zu Dank verpflichtet bin ich einer japanischen Freundin, die mir diesen Tee netterweise aus Japan mitgebracht hat. Ja, es hat sich bis Japan herumgesprochen, dass ich Tee-süchtig -begeistert bin und wenn Japaner zu uns zu Besuch kommen, dann bringen sie häufig ein Mitbringsel bzw. omiyage mit. Lucky me.

DSC_0010
Vielen Dank an Familie H. für den schönen Hagi-yaki Becher

Der mitgebrachte Tee ist ein Sencha aus Shizuoka, Japans berühmtester Anbauregion. Dort gibt es einen Ort namens Kakegawa (掛川), in dem seit dem 16. Jahrhundert Tee angebaut wird. Aus den Blättern des Yabukita-Kultivars, stellt das Unternehmen Harada (ハラダ製茶株式会社) eine Spezialität her, für die Shizuoka bekannt ist. Es ist ein Grüntee, der zwei bis drei Mal so lange, bis zu 120 Sekunden, mit heißem Wasserdampf behandelt wird und daher die Bezeichnung fukamushi (wörtlich: tiefgedämpft 深蒸し) trägt. Diese Methode hat in Shizuoka ihren Ursprung und ist aus der Not heraus geboren. Im Gegensatz zu den Pflanzen höher gelegener Plantagen, waren die Blätter der tiefer gelegenen dicker, vor allem aber bitterer. Dieser Geschmack wurde von der zahlenden Kundschaft nicht besonders geschätzt, daher erzielten die Blätter auch keinen hohen Marktpreis. Nach dem Krieg, um das Jahr 1955 herum, wurde es üblich, die Bedämpfungszeit zu erhöhen, weil man entdeckte, dass dadurch die Bitterkeit des Tees abnahm. In der Folgezeit wurde durch bessere Maschinen und die Optimierung der Herstellungsweise die Qualität dieses Tees deutlich erhöht, so dass heute ca. 70% der in Shizuoka hergestellten Tees nach diesem Verfahren hergestellt werden. Doch auch in anderen Präfekturen wie Mie oder Kagoshima bedient man sich dieses Verfahrens, um Tee herzustellen.

DSC_0022
Feine Nadeln gepaart mit Blattbruch
Das längere Dämpfen hat noch weitere Auswirkungen auf den Tee. Er gewinnt dadurch an Süße, allerdings auf Kosten der Frische. Es ist daher kein filigraner, sondern ein recht kerniger Tee mit einem starken Duft und vollmundigem Geschmack bzw. Mundgefühl. Die Bitterkeit ist nicht restlos verpufft, japanische Liebhaber sprechen von einer sanften Herbe (odayaka na shibumi おだやかな渋味), wobei diese Einschätzung sicherlich nicht von jedem geteilt wird. Es gibt Menschen, die es einfach nur als bitter empfinden. Durch das längere Dämpfen wird das Blatt strapaziert und ist viel brüchiger, weswegen der Tee nicht die beliebte Nadelform (harijô 針状) aufweist. Der hohe Anteil kleiner Partikel macht die Tasse trüb und dunkelgrün, besonders beim zweiten Aufguss wird das deutlich. Auch im Mundgefühl spiegelt sich das wieder, denn der Tee fühlt sich gehaltvoller, cremiger und dickflüssiger an. Entweder man liebt es (ich) oder man hasst es (Frau P.).
DSC_0025
Nur etwa 100ml kriege ich aus dieser kleinen Kanne, für mich allein ist es vollkommen ausreichend

Duft & Haptik

Dieser Tee hat noch etwas Besonderes an sich. Es handelt sich um einen Shincha, also um einen First Flush. Er hat einen sehr tiefen Duft, der mich immer an Nadelbäume an einem feuchten Abend erinnert. So einen ähnlichen Tee, den ich nur zu gern wieder trinken würde, hatte ich 2009 in Japan gekauft und in eine Kirschholzdose getan, die diesen Duft bis heute gespeichert hat. Ich denke, dass sich dieser Tee dort sehr wohlfühlen wird und kippe ihn dort rein. Der Duft weist aber noch etwas Alge und Esskastanien auf. Zwischen den Fingerspitzen fühlt sich der Tee leicht seidig an.
DSC_0029
Der erste Aufguss ist bei fukamushi immer überraschend klar

Geschmack
Abhängig von der Dosierung ergibt sich bei den Aufgüssen ein anderes Geschmacksbild. Der erste Aufguss ist bei einer leichten Dosierung und 45 Sekunden Ziehzeit sehr mild, im Abgang leicht algig, aber viel zu mild. Erst beim zweiten Aufguss hat er das schöne cremige Mundgefühl. Matcha- und Nadelbaum-Aromen steigen in die Nase, super! In der dritten Runde wird der Matcha-Geschmack intensiver, es wird auch leicht bitter, ich würde es Edelbitter nennen. Das cremige Mundgefühl nimmt zu, der Geschmack ist dichter, fast wie geschlagener Matcha.

DSC_0034
Erst der zweite Aufguss ergibt diese dunkle Färbung

Danach gab es noch eine harte Tour, also 5g auf 100ml. Für fukamushi ist das ordentlich, Frau P. würde mir diesen Tee sicher unwillkürlich ins Gesicht spucken, wenn ich es wagen würde, sie damit zu überraschen. “Edelbitter” ist er von Anfang an, ich spüre auch die Süße, die sich mit dem Nadelbaumduft wunderbar vereint. Ein sehr intensives Erlebnis, für das man einen gewissen Widerstand gegen Bitterkeit entwickelt haben muss, um es als angenehm empfinden zu können. Denn so geht es auch beim zweiten Aufguss weiter, der einen sehr dichten Matcha-Geschmack hervorkommen lässt und ich muss an Nougat denken, weil es sich ähnlich auf der Zunge anfühlt. Dazu kommen eine dezente Süße und die Nadelbaum-Aromen, die sehr lange nachhallen.

DSC_0051
Auch hier ist der hohe Blattburch-Anteil sehr gut zu sehen

Ich brauche eine kurze Pause, ehe ich mir einen weiteren Becher zubereite. Dieser ist vor allem am Gaumen sehr herb, so herb wie Herrenschokolade. Dieser unheimlich intensive Geschmack, den ich schon zuvor beschrieben habe, macht mich sprachlos. Und das ist auch gut so, denn ich habe eh schon zu viel geschrieben.

Eine kleine Probe aus Japan: Kamairi-cha

Eine kleine Probe aus Japan: Kamairi-cha

In meinem Umfeld bin ich mit meiner Tee-Passion ziemlich allein. Das bedeutet zwar nicht, dass niemand Tee trinkt, aber das tiefe Interesse dafür scheint zu fehlen. Ergo ist es schwer, sich mit den Leuten über Tee zu unterhalten, zumindest wenn man die Absicht hat, ein für beide Seiten fruchtbares Gespräch zu führen. Dank des Internets gibt es Foren zu diversen Themen, so natürlich auch zum Thema Tee. In diesen Foren melden sich täglich neue Mitglieder an, um sich über Tee auszutauschen. Eines Tages registrierte sich Seika im Forum, ein Teefreund aus Deutschland, der in Japan auf Kyûshû lebt. Seika schwärmte so sehr von einem fukamushi-Sencha (深蒸し煎茶) aus seiner Region, dass ich ihn bat, mir doch ein Päckchen davon zu schicken. Um diesen Tee geht es heute nicht, dafür möchte ich über die Probe schreiben, die diesem Päckchen beilag, 10g eines kamairi-sei-tamaryoku-cha (釜炒り製玉緑茶), ein in Kesseln bzw. Pfannen gerösteter gekrümmter Grüntee. Die typische Blattform in Form eines Kommas kommt zustande, weil der Tee nicht gerollt, vielmehr geknetet wird. Es ist also kein traditioneller Sencha, sondern ein Tee, der von seiner Machart eher an chinesische Grüntees erinnert, die häufig in Pfannen erhitzt werden, um den Oxidationsprozess zu stoppen.* Diese Verarbeitung verleiht ihm sein spezielles Aroma, welches kamaka (釜香) – Pfannenaroma – genannt wird. Alternativ spricht man auch von hika (火香) bzw. Röstaromen. Das ist übrigens kein Zufall, denn Kyûshû hat durch die geografische Nähe zu China schon früh intensiven Handel getrieben und somit viele Kulturformen aus diesem Land übernommen. Die Machart dieses Tees wurde bereits im 15. Jahrhundert eingeführt, wurde jedoch von dem ab der Edo-Zeit (1615-1868) eingeführten Dämpfverfahren, wie es bei Sencha angewendet wird, verdrängt. Kamairi-cha gilt daher als großer Bruder des Sencha und als regionale Spezialität Kyûshûs. Dort wird dieser Tee in den Präfekturen Saga, Miyazaki und Kumamoto hergestellt. Die Produktionsmenge ist im Vergleich zu Sencha relativ gering. Es wurden 2007 nur  3200 Tonnen hergestellt, bei Sencha waren es hingegen 65000 Tonnen! Der vorliegende Grüntee stammt aus Kumamoto und trägt den majestätischen Namen “Grüner König” (緑の王様) und wurde von Takanoen (高野園) hergestellt.*Es gibt aber auch eine Variante des tamaryoku-cha, die bedämpft wird und entsprechend mushi-sei tamaryoku-cha (蒸製玉緑茶) genannt wird.


Größere Kartenansicht

Um den Tee zu genießen, gehe ich zusammen mit Frau P. nach Planten un Blomen, nicht nur weil es dort einen japanischen Garten gibt, der Park bietet so viele schöne Möglichkeiten auszuspannen – man kann sich kaum entscheiden wo. Am Teehaus geht es allerdings nicht, denn dort sind zu viele Menschen. Außerdem haben wir einen Gaskocher dabei und unter diesem wird es bei ungünstigem Luftzug richtig heiß, was eventuell das Holz des kleinen Stegs oder das Gras der Wiese beschädigen könnte. Und das wäre dann nicht nur schade, sondern den anderen Gästen gegenüber auch ziemlich unhöflich. Aus diesem Grund gehen wir in eine Ecke des japanischen Gartens, der etwas abseits liegt. Dort kann man den Gaskocher auch auf den steinigen Boden stellen, wo er keinen Schaden anrichten kann. Außerdem sind wir von vielen Hecken und Bäumen umgeben, was uns vor dem Wind etwas schützt. Wir setzen uns auf eine Bank und machen es uns mit dem Tee gemütlich. Zu diesem Anlass darf ich auch gleich einen Newcomer in den Reihen der Tee-Utensilien begrüßen. Es ist eine kleine Mumyoi-kyûsu (無名異) aus dem Ton der Insel Sado (佐渡島). Dieser kyûsu werde ich eines Tages einen eigenen Beitrag widmen, heute soll es um den Tee gehen, sonst wird der Blog viel zu lang.

DSC_0478


Aussehen

Die Blätter dieses Tees haben ein etwas blasseres Grün als Sencha. Teilweise sieht es so aus, als ob es in Richtung Blau gehen würde. Die gekrümmten Blätter kann man sehr gut auf dem Foto erkennen und man kann auch einige Stile erblicken. Manchmal winden sie sich wie kleine Korkenzieherlocken.
DSC_0477
Den Unterschied zu den nadelartigen Sencha-Blättern sieht man hier sehr deutlich

Geruch

Ich entnehme die Blätter aus der kleinen Packung und schnuppere etwas daran. Der Duft ist leicht “pflanzlich” und lässt mich an Salatgurke denken. In der warmen kyûsu entfaltet sich ein süßer Geruch, den ich mit Algen in Zusammenhang bringe. Nicht die Nori-Blätter, die man auch für Sushi benutzt, sondern eine Art, die bei Süßigkeiten häufig Verwendung findet. Dazu gesellt sich eine Meeresbrise, ich war ja gerade erst am Meer und weiß noch genau, wie schön Meeresduft riecht. Im Hintergrund ist noch etwas Anderes, vielleicht Leder?
Zubereitungsempfehlung von Seika
Seika hat mir noch einen Brief zu beiden Tees in den Umschlag gelegt und empfiehlt eine Dosierung von 5g pro 100ml kochendem Wasser. Ich wäre ohne diese Empfehlung sicherlich zurückhaltender gewesen, vertraue aber seinem Urteil. Der zweite Aufguss soll sofort abgegossen werden. Danach fährt man wieder mit ca. 30 Sekunden fort und passt die Ziehzeit an den eigenen Geschmack an.
DSC_0498
DSC_0480
Geschmack
Wer den Geschmack von Sencha kennt, wird überrascht sein, dass der kamairi-cha überhaupt nichts mit diesem zu tun hat. Folglich schmeckt der erste Gang auch nicht nach Umami, stattdessen ist er süß, zart herb, erinnert einerseits an Kräuter, aber welche? Und dann ist da noch der gemüsige Geschmack, dieser äußert sich aber auch anders als bei Sencha: die zuvor gerochene Gurke kommt gepaart mit ein wenig Zucchini zurück.

DSC_0488
Die Farbe des Tees tendiert mehr zu Gelb als zu Grün

Der Geschmack bleibt über die Aufgüsse relativ konstant. So notiere ich für den dritten Aufguss einen etwas stärkeren Gurkengeschmack. Der vierte hingegen hinterlässt ein cremiges Mundgefühl, wie es Jinxuan-Oolong tun. Dazu ist er etwas pikant im Rachenbereich. Der fünfte bringt wieder die Süße in den Vordergrund. Ich bin mir nicht sicher, aber ist das ein Hauch von Vanille mit Obstkompott, was ich da schmecke? Der letzte lässt mich an den Grundgeschmack der “modernen” und wenig oxidierten Oolong denken.

DSC_0496

Blattgut
Die aufgequollenen Blätter offenbaren, dass bei einigen Blättern der Oxidationsprozess bereits einsetzte. Auffällig ist auch, dass im Gegensatz zu Sencha viele Blätter intakt sind und einen fleischigeren Eindruck machen. Die Verarbeitungsmethode scheint die Blätter zu schonen.

DSC_0501
An einigen Stellen sieht man leicht braune Stellen – Spuren der Oxidation
DSC_0500

Fazit
Ich habe schon mal einen tamaryoku-cha probiert, ich bin aber der Meinung, dass der mehr an Sencha erinnerte als der jetzige. Woran das liegt, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht war der damalige auch bedämpft, wodurch die geschmackliche Parallele zustande kam? Der vorliegende Tee geht geschmacklich in die Richtung eines Frühlingsbancha, den ich mal getrunken habe. Der schmeckte nämlich auch sehr nach Salatgurke. Das Röstaroma habe ich leider nicht wahrgenommen, aber ich habe noch genug Blätter für einen zweiten Versuch. Vielleicht nützt es ja, wenn ich bewusst darauf achte? Oder steigt dabei das Risiko, sich selbst etwas einzubilden, was (für einen selbst) gar nicht vorhanden ist? Wie auch immer, herzlichen Dank für diesen schönen Tee, lieber Seika!