Schlagwort-Archive: Japan

Was einen Fukamushi Sencha so besonders macht

Was einen Fukamushi Sencha so besonders macht

Ich habe mich festgelegt. Endlich habe ich so etwas wie einen Favoriten unter den japanischen Tees. Es hat einige Zeit des bewussten Tee-Trinkens gebraucht, um zu dieser eigentlich recht einfachen Erkenntnis zu gelangen. Und zu Dank verpflichtet bin ich einer japanischen Freundin, die mir diesen Tee netterweise aus Japan mitgebracht hat. Ja, es hat sich bis Japan herumgesprochen, dass ich Tee-süchtig -begeistert bin und wenn Japaner zu uns zu Besuch kommen, dann bringen sie häufig ein Mitbringsel bzw. omiyage mit. Lucky me.

DSC_0010
Vielen Dank an Familie H. für den schönen Hagi-yaki Becher

Der mitgebrachte Tee ist ein Sencha aus Shizuoka, Japans berühmtester Anbauregion. Dort gibt es einen Ort namens Kakegawa (掛川), in dem seit dem 16. Jahrhundert Tee angebaut wird. Aus den Blättern des Yabukita-Kultivars, stellt das Unternehmen Harada (ハラダ製茶株式会社) eine Spezialität her, für die Shizuoka bekannt ist. Es ist ein Grüntee, der zwei bis drei Mal so lange, bis zu 120 Sekunden, mit heißem Wasserdampf behandelt wird und daher die Bezeichnung fukamushi (wörtlich: tiefgedämpft 深蒸し) trägt. Diese Methode hat in Shizuoka ihren Ursprung und ist aus der Not heraus geboren. Im Gegensatz zu den Pflanzen höher gelegener Plantagen, waren die Blätter der tiefer gelegenen dicker, vor allem aber bitterer. Dieser Geschmack wurde von der zahlenden Kundschaft nicht besonders geschätzt, daher erzielten die Blätter auch keinen hohen Marktpreis. Nach dem Krieg, um das Jahr 1955 herum, wurde es üblich, die Bedämpfungszeit zu erhöhen, weil man entdeckte, dass dadurch die Bitterkeit des Tees abnahm. In der Folgezeit wurde durch bessere Maschinen und die Optimierung der Herstellungsweise die Qualität dieses Tees deutlich erhöht, so dass heute ca. 70% der in Shizuoka hergestellten Tees nach diesem Verfahren hergestellt werden. Doch auch in anderen Präfekturen wie Mie oder Kagoshima bedient man sich dieses Verfahrens, um Tee herzustellen.

DSC_0022
Feine Nadeln gepaart mit Blattbruch
Das längere Dämpfen hat noch weitere Auswirkungen auf den Tee. Er gewinnt dadurch an Süße, allerdings auf Kosten der Frische. Es ist daher kein filigraner, sondern ein recht kerniger Tee mit einem starken Duft und vollmundigem Geschmack bzw. Mundgefühl. Die Bitterkeit ist nicht restlos verpufft, japanische Liebhaber sprechen von einer sanften Herbe (odayaka na shibumi おだやかな渋味), wobei diese Einschätzung sicherlich nicht von jedem geteilt wird. Es gibt Menschen, die es einfach nur als bitter empfinden. Durch das längere Dämpfen wird das Blatt strapaziert und ist viel brüchiger, weswegen der Tee nicht die beliebte Nadelform (harijô 針状) aufweist. Der hohe Anteil kleiner Partikel macht die Tasse trüb und dunkelgrün, besonders beim zweiten Aufguss wird das deutlich. Auch im Mundgefühl spiegelt sich das wieder, denn der Tee fühlt sich gehaltvoller, cremiger und dickflüssiger an. Entweder man liebt es (ich) oder man hasst es (Frau P.).
DSC_0025
Nur etwa 100ml kriege ich aus dieser kleinen Kanne, für mich allein ist es vollkommen ausreichend

Duft & Haptik

Dieser Tee hat noch etwas Besonderes an sich. Es handelt sich um einen Shincha, also um einen First Flush. Er hat einen sehr tiefen Duft, der mich immer an Nadelbäume an einem feuchten Abend erinnert. So einen ähnlichen Tee, den ich nur zu gern wieder trinken würde, hatte ich 2009 in Japan gekauft und in eine Kirschholzdose getan, die diesen Duft bis heute gespeichert hat. Ich denke, dass sich dieser Tee dort sehr wohlfühlen wird und kippe ihn dort rein. Der Duft weist aber noch etwas Alge und Esskastanien auf. Zwischen den Fingerspitzen fühlt sich der Tee leicht seidig an.
DSC_0029
Der erste Aufguss ist bei fukamushi immer überraschend klar

Geschmack
Abhängig von der Dosierung ergibt sich bei den Aufgüssen ein anderes Geschmacksbild. Der erste Aufguss ist bei einer leichten Dosierung und 45 Sekunden Ziehzeit sehr mild, im Abgang leicht algig, aber viel zu mild. Erst beim zweiten Aufguss hat er das schöne cremige Mundgefühl. Matcha- und Nadelbaum-Aromen steigen in die Nase, super! In der dritten Runde wird der Matcha-Geschmack intensiver, es wird auch leicht bitter, ich würde es Edelbitter nennen. Das cremige Mundgefühl nimmt zu, der Geschmack ist dichter, fast wie geschlagener Matcha.

DSC_0034
Erst der zweite Aufguss ergibt diese dunkle Färbung

Danach gab es noch eine harte Tour, also 5g auf 100ml. Für fukamushi ist das ordentlich, Frau P. würde mir diesen Tee sicher unwillkürlich ins Gesicht spucken, wenn ich es wagen würde, sie damit zu überraschen. “Edelbitter” ist er von Anfang an, ich spüre auch die Süße, die sich mit dem Nadelbaumduft wunderbar vereint. Ein sehr intensives Erlebnis, für das man einen gewissen Widerstand gegen Bitterkeit entwickelt haben muss, um es als angenehm empfinden zu können. Denn so geht es auch beim zweiten Aufguss weiter, der einen sehr dichten Matcha-Geschmack hervorkommen lässt und ich muss an Nougat denken, weil es sich ähnlich auf der Zunge anfühlt. Dazu kommen eine dezente Süße und die Nadelbaum-Aromen, die sehr lange nachhallen.

DSC_0051
Auch hier ist der hohe Blattburch-Anteil sehr gut zu sehen

Ich brauche eine kurze Pause, ehe ich mir einen weiteren Becher zubereite. Dieser ist vor allem am Gaumen sehr herb, so herb wie Herrenschokolade. Dieser unheimlich intensive Geschmack, den ich schon zuvor beschrieben habe, macht mich sprachlos. Und das ist auch gut so, denn ich habe eh schon zu viel geschrieben.

Von der tenmoku-Teeschale zu neuen Formen und Glasuren

Von der tenmoku-Teeschale zu neuen Formen und Glasuren

Dieser Blog baut auf zwei vorher veröffentlichten Beiträgen auf, der Einführung in die japanische Teegeschichte und einem Artikel zu tenmoku-Teeschalen. Außerdem empfehlenswert ist der Artikel über die Besonderheit japanischer Teekeramik. Ich habe geschrieben, dass die Teekultur vor allem in drei gesellschaftlichen Kreisen florierte, dem Kriegeradel, also den Samurai, dem Hofadel und dem Klerus, wozu neben den Zen-Buddhisten auch die Shintô-Priester gehörten. Vor allem letztere zeigten Interesse an den weltlichen Erscheinungsformen des Teegenusses wie z.B. den Tee-Wettbewerben. Diese wurden auch im Bürgertum von wohlhabenden Händlern nachgeahmt, so dass sich die Teekultur am Ende des 15. Jahrhunderts in allen vier Ständen ausbreiten konnte. Dabei ist es schwierig, von der einen Teekultur zu sprechen, weil es in Wirklichkeit viele verschiedene nebeneinander existierende Erscheinungsformen gab, die auf einen zwanglosen Tee-Konsum schließen lassen. So gab es z.B. Tee-Wettkämpfe (tôcha 闘茶), bei denen es darauf ankam, aus bis zu 100 Tassen Tee eine bestimmte Sorte herauszuschmecken. Die Aristokraten entwickelten den Tee im Studierzimmer (shoin no cha 書院の茶), bei denen sie ihre kostbaren, meist chinesischen, Utensilien präsentierten. Im Bürgertum genoss man Tee beim Baden, so ist aus Nara bekannt, dass man dort rinkan-cha (Schweißfließender Tee 淋汗茶) praktizierte, bei dem auch Speisen und Alkohol gereicht wurden.
Moderne Jian-Teeschale
Moderne Jian-Teeschale

Schließlich bediente man sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts bereits existierender Kulturformen, indem man die Einsiedlerhütte von Dichtern übernahm, die sich in diesen trafen, um in die Atmosphäre der Einsiedler-Literatur zu tauchen. Daraus wurde der sôan no cha (草庵の茶), der Tee in der Einsiedlerhütte, quasi der direkte Gegenspieler zum Tee der Aristokraten, weil er viele der etablierten Regeln brach und neue Maßstäbe in der Ästhetik setzte.

Teeschale im Jian-Stil (Öltropfen-Dekor)
Teeschale im Jian-Stil (Öltropfen-Dekor)

Karge und kostengünstigere Objekte, die irgendwo “gefunden” wurden, ersetzten die teuren nach und nach. Die Popularisierung des Tees führte daher dazu, dass andere gesellschaftliche Kreise anfingen, sich mit Tee zu beschäftigen. Und weil die Nachahmer nicht über die nötigen Ressourcen verfügten, um sich die exquisiten Utensilien des Adels kaufen zu können, konnten sie sich nur einheimische Derivate oder chinesische B-Ware leisten. Im 15. und 16. Jahrhundert kamen einige Händler zu großem Reichtum und erfuhren dadurch einen sozialen Aufstieg. Sie wurden mit der alternativen Teekultur groß, in der es erlaubt war, chinesische Utensilien mit japanischen Erzeugnissen zu mischen. In dieser Teekultur kristallisierten sich Führungspersonen heraus und es kursierten sogenannte Geheimschriften, in denen Regeln und ästhetische Richtlinien aufgestellt waren. Diese standen in Opposition zur aristokratischen Teekultur, die sich auf die feinsten chinesischen Utensilien konzentrierte. Die gesellschaftliche Gegenbewegung erschuf eine davon unabhängige Teekultur, die den Einsatz von alternativen Utensilien legitimierte.

Bizen-yaki Chawan
Bizen-yaki Chawan

Die Folge davon war, dass einheimische Produkte und die chinesische B-Ware ästhetisiert wurden. Dies lässt sich anhand von Tee-Protokollen des frühen 16. Jahrhunderts nachvollziehen: Als Teeschalen wurden in den folgenden Jahrzehnten immer mehr Seladon- und tenmoku-Teeschalen benutzt, von denen letztere im Gegensatz zu Jian-Teeschalen als B-Ware galten.

Moderne Tenmoku-Teeschale
Moderne Tenmoku-Teeschale

Auch wenn in der japanischen Tee-Geschichte der Eindruck einer linearen Entwicklung vermittelt wird, in der es führende Tee-Meister wie Shukô, Jôô und Rikyû gab, muss man sich die Teekultur dynamischer und interaktiver vorstellen. Tee bot ein gutes Feld, in dem sich jeder Akteur mittels seiner Kompetenz, seiner Kenntnisse und seiner Utensilien positionieren und artikulieren konnte. Ökonomische Überlegenheit wurde mittels kostbarer Utensilien demonstriert. Die Ablehnung solcher Luxusgüter und die Zuwendung zu alternativen oder gar unvollkommen wirkenden Utensilien, wobei diese Haltung nach Bourdieu oft aus wirtschaftlichen Zwängen eingenommen wird, führte unter Gleichgesinnten zur Nachahmung.

Shigaraki-yaki Chawan
Shigaraki-yaki Chawan

Legitimiert wurden diese Ansichten mit philosophischen Gedichten, später auch mit religiösen Aussagen. Da in jeder Gesellschaft nur ein jeweils kleiner Prozentsatz von Menschen zu so großem Wohlstand kommt, sich Luxus leisten zu können, ist es leicht zu verstehen, dass für die interessierte breite Masse nur die bezahlbare Variante der Teekultur infrage kam. Die Popularisierung der Teekultur trug dazu bei, dass der japanische Markt in Schwung kam. Es ist bekannt, dass z.B. rustikale Vasen aus einheimischen Öfen oder große Teebehälter als Erstes in den neuen Kanon integriert wurden und sozusagen als Türöffner für andere Utensilien fungierten. Die einheimischen Öfen wie Bizen und Shigaraki produzierten zunächst Einzelstücke auf konkrete Nachfrage. Da sie Akzeptanz fanden, wurde die Produktionsmenge gesteigert. Teeschalen wurden zwar noch immer nach chinesischem Vorbild gefertigt, aber auch hier begannen Töpfer Variationen einzubauen. Mal änderte sich die Form, mal die Glasurfarbe. Der Übergang in typisch japanische Teekeramik ist fließend. Teeliebhaber nutzten die neuen Utensilien, um ihren Geschmack auszudrücken. Dabei gab es immer welche, die der Mode folgten und welche, die sich von der Mode absetzten. Für die einheimischen Töpfer bedeutete dies, dass ihr kreatives Schaffen Akzeptanz finden konnte, es gab plötzlich einen Markt für individuelle Keramiken. So ist es zu erklären, dass neben den etablierten tenmoku-Teeschalen neue Varianten auftauchten, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts die ersteren sogar an Beliebtheit übertrafen und vorübergehend verdrängten.

Die neuen einheimischen Teeschalen lassen sich in folgende Kategorien gliedern, die ich nur kurz anreiße, weil sie in späteren Beiträgen vorgestellt werden:

Imitate chinesischer Keramiken
Dazu gehören vor allem die Öfen aus Seto und Mino aus Zentral-Japan. Hier produzierte man schon seit dem 12. Jahrhundert tenmoku-Teeschalen nach dem Vorbild chinesischer Jian-Teeschalen. Doch auch im Süden des Landes wurden z.B. in Karatsu tenmoku-Teeschalen hergestellt. Die geläufigste Form, weil am einfachsten herzustellen, waren die dunkelbraun glasierten Schalen. Darüber habe ich schon in einem früheren Beitrag ausführlich geschrieben.

Darüber hinaus wurden auch Seladon-Teeschalen in Seto und Mino kopiert. Dies gelang aber eher schlecht als recht, man kam einfach nicht auf die richtige Rezeptur, um die grünblaue Glasur zu erzielen. Stattdessen erreichte man mit einer Ascheglasur blassere Farbtöne und schließlich einen gelben Überzug. Da chinesische Seladone nicht selten plastisch anspruchsvoller gestaltet waren, verwundert es nicht, dass auch die Seladon-Imitate in ihrer Gestaltung diesen nachzueifern versuchten.

Imitate koreanischer Keramiken
Obwohl Einflüsse koreanischer Keramiken schon früh anhand japanischer Derivate ablesbar sind, wurden sie erst spät richtig kopiert. Genauer gesagt erfolgte das Herstellen durch verschleppte Töpfer aus Korea. 1592 unternahm Toyotomi Hideyoshi seine Korea-Invasion, am Ende sollte sogar ganz China erobert werden, so zumindest sein Plan. Mein Professor machte darüber immer eine scherzhafte Bemerkung, dass Hideyoshi wohl keine Karten lesen konnte. Damit spielte er auf die unfassbare Größe Chinas an, die solch ein Unterfangen ad absurdum führt. Für Korea reichte es allerdings tatsächlich und beim Rückzug wurden neben kostbaren Schätzen wie z.B. Keramiken auch Töpfer verschleppt, um sie in Japan die begehrten koreanischen Teeschalen herstellen zu lassen. Zu diesen Öfen gehören z.B. Karatsu und Hagi. Die häufigste Form ist die der einfachen Reisschale. In Korea wurden sie nämlich als solche benutzt und hergestellt, erst die japanischen Tee-Meister erhoben sie in den Rang einer Teeschale. Die Glasuren sind vielfältig, häufig weiß oder transparent, außerdem uneben aufgetragen, weil sich die Töpfer keine große Mühe bei der Gestaltung gaben. Durch die geografische Nähe zur koreanischen Halbinsel wurden allerdings schon vor der Korea-Invasion Töpferstile von Korea beeinflusst und es gibt viele Dekor- und Glasurtechniken, die bei Tee-Utensilien Verwendung fanden.

CIMG6824
Eine Teeschale aus Karatsu mit einer Engobeschicht aus weißem Ton
CIMG6816
Eine weiße Teeschale aus Karatsu, vermutlich mit Feldspat-Glasur

Derivate
Als Derivate bezeichne ich solche Keramiken, die Merkmale ausländischer und einheimischer Keramiken aufweisen. Wie schon erwähnt, ahmte man so gut es ging ausländische Teekeramik nach, doch nicht immer gelang es so gut, wie man wollte. Ein gutes Beispiel ist die Keramikgattung ki-Seto, also Gelbes Seto. Die Glasur entstand bei dem Versuch, Seladon-Glasuren zu imitieren. Der Unterschied blieb jedoch so gravierend, dass es natürlich nicht als Seladon Anerkennung fand.

Gelbes Seto
Gelbes Seto

Trotzdem wurden diese Stücke akzeptiert, vielleicht auch deswegen, weil sie schöne Verzierungen enthielten, die später mit grünen Glasurtupfern aus Kupfer hervorgehoben wurden. Man nutzte die entdeckte Glasur für andere Formen und löste sich somit von der bloßen Herstellung der Imitate. Das Gelbe Seto passte auch sehr gut zum Grün des schaumigen Matcha. So ist es teilweise zu erklären, dass Gelbes Seto in der Bevölkerung große Anerkennung fand. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Keramiken, die zwar zunächst in Anlehnung an ausländische Vorbilder produziert wurden, aber im Laufe der Zeit sich immer mehr von ihren Wurzeln entfernten.

Kuro Oribe-yaki Chawan
Kuro Oribe-yaki Chawan

Dafür sind die in Mino hergestellten Oribe-Teeschalen gute Beispiele. Und schließlich sollten Teeschalen aus den Bizen- und Shigaraki-Öfen erwähnt werden. Häufig findet man zylindrische Formen, wie sie etwa in China und Korea üblich waren, die Teeschalen aus Bizen und Shigaraki waren aber komplett unglasiert und wiesen somit die eigentümlichen Charakteristika auf, die diese Töpferwaren so auszeichnen und von anderen unterscheiden. Es gibt noch mehr Keramiken, die man hier anführen könnte, aber da der Blog eh schon lang genug geworden ist, werde ich die Keramikgattungen nach und nach in eigenen Beiträgen vorstellen.

CIMG6879
Eine kuro-Oribe Teeschale aus Mino

Literaturtipps:
Wer sich mehr für die japanische Teegeschichte interessiert und nicht davor zurückschreckt englische Fachartikel zu lesen, dem sei Morgan Pitelkas “Japanese Tea Culture” ans Herz gelegt. Dort finden sich kritische Auseinandersetzungen mit Japans Tee-Kultur, die von der üblichen Darstellung der Sen-Schulen abweichen. Ganz besonders gefallen hat mir der Artikel von Dale Slusser, dem ich im Wesentlichen in der Darstellung der Entwicklung der Teekultur folge. Das Buch gibt es z.B. bei Amazon zu haben:

Japanese Tea Culture: Art, History and Practice

Eine kleine Probe aus Japan: Kamairi-cha

Eine kleine Probe aus Japan: Kamairi-cha

In meinem Umfeld bin ich mit meiner Tee-Passion ziemlich allein. Das bedeutet zwar nicht, dass niemand Tee trinkt, aber das tiefe Interesse dafür scheint zu fehlen. Ergo ist es schwer, sich mit den Leuten über Tee zu unterhalten, zumindest wenn man die Absicht hat, ein für beide Seiten fruchtbares Gespräch zu führen. Dank des Internets gibt es Foren zu diversen Themen, so natürlich auch zum Thema Tee. In diesen Foren melden sich täglich neue Mitglieder an, um sich über Tee auszutauschen. Eines Tages registrierte sich Seika im Forum, ein Teefreund aus Deutschland, der in Japan auf Kyûshû lebt. Seika schwärmte so sehr von einem fukamushi-Sencha (深蒸し煎茶) aus seiner Region, dass ich ihn bat, mir doch ein Päckchen davon zu schicken. Um diesen Tee geht es heute nicht, dafür möchte ich über die Probe schreiben, die diesem Päckchen beilag, 10g eines kamairi-sei-tamaryoku-cha (釜炒り製玉緑茶), ein in Kesseln bzw. Pfannen gerösteter gekrümmter Grüntee. Die typische Blattform in Form eines Kommas kommt zustande, weil der Tee nicht gerollt, vielmehr geknetet wird. Es ist also kein traditioneller Sencha, sondern ein Tee, der von seiner Machart eher an chinesische Grüntees erinnert, die häufig in Pfannen erhitzt werden, um den Oxidationsprozess zu stoppen.* Diese Verarbeitung verleiht ihm sein spezielles Aroma, welches kamaka (釜香) – Pfannenaroma – genannt wird. Alternativ spricht man auch von hika (火香) bzw. Röstaromen. Das ist übrigens kein Zufall, denn Kyûshû hat durch die geografische Nähe zu China schon früh intensiven Handel getrieben und somit viele Kulturformen aus diesem Land übernommen. Die Machart dieses Tees wurde bereits im 15. Jahrhundert eingeführt, wurde jedoch von dem ab der Edo-Zeit (1615-1868) eingeführten Dämpfverfahren, wie es bei Sencha angewendet wird, verdrängt. Kamairi-cha gilt daher als großer Bruder des Sencha und als regionale Spezialität Kyûshûs. Dort wird dieser Tee in den Präfekturen Saga, Miyazaki und Kumamoto hergestellt. Die Produktionsmenge ist im Vergleich zu Sencha relativ gering. Es wurden 2007 nur  3200 Tonnen hergestellt, bei Sencha waren es hingegen 65000 Tonnen! Der vorliegende Grüntee stammt aus Kumamoto und trägt den majestätischen Namen “Grüner König” (緑の王様) und wurde von Takanoen (高野園) hergestellt.*Es gibt aber auch eine Variante des tamaryoku-cha, die bedämpft wird und entsprechend mushi-sei tamaryoku-cha (蒸製玉緑茶) genannt wird.


Größere Kartenansicht

Um den Tee zu genießen, gehe ich zusammen mit Frau P. nach Planten un Blomen, nicht nur weil es dort einen japanischen Garten gibt, der Park bietet so viele schöne Möglichkeiten auszuspannen – man kann sich kaum entscheiden wo. Am Teehaus geht es allerdings nicht, denn dort sind zu viele Menschen. Außerdem haben wir einen Gaskocher dabei und unter diesem wird es bei ungünstigem Luftzug richtig heiß, was eventuell das Holz des kleinen Stegs oder das Gras der Wiese beschädigen könnte. Und das wäre dann nicht nur schade, sondern den anderen Gästen gegenüber auch ziemlich unhöflich. Aus diesem Grund gehen wir in eine Ecke des japanischen Gartens, der etwas abseits liegt. Dort kann man den Gaskocher auch auf den steinigen Boden stellen, wo er keinen Schaden anrichten kann. Außerdem sind wir von vielen Hecken und Bäumen umgeben, was uns vor dem Wind etwas schützt. Wir setzen uns auf eine Bank und machen es uns mit dem Tee gemütlich. Zu diesem Anlass darf ich auch gleich einen Newcomer in den Reihen der Tee-Utensilien begrüßen. Es ist eine kleine Mumyoi-kyûsu (無名異) aus dem Ton der Insel Sado (佐渡島). Dieser kyûsu werde ich eines Tages einen eigenen Beitrag widmen, heute soll es um den Tee gehen, sonst wird der Blog viel zu lang.

DSC_0478


Aussehen

Die Blätter dieses Tees haben ein etwas blasseres Grün als Sencha. Teilweise sieht es so aus, als ob es in Richtung Blau gehen würde. Die gekrümmten Blätter kann man sehr gut auf dem Foto erkennen und man kann auch einige Stile erblicken. Manchmal winden sie sich wie kleine Korkenzieherlocken.
DSC_0477
Den Unterschied zu den nadelartigen Sencha-Blättern sieht man hier sehr deutlich

Geruch

Ich entnehme die Blätter aus der kleinen Packung und schnuppere etwas daran. Der Duft ist leicht “pflanzlich” und lässt mich an Salatgurke denken. In der warmen kyûsu entfaltet sich ein süßer Geruch, den ich mit Algen in Zusammenhang bringe. Nicht die Nori-Blätter, die man auch für Sushi benutzt, sondern eine Art, die bei Süßigkeiten häufig Verwendung findet. Dazu gesellt sich eine Meeresbrise, ich war ja gerade erst am Meer und weiß noch genau, wie schön Meeresduft riecht. Im Hintergrund ist noch etwas Anderes, vielleicht Leder?
Zubereitungsempfehlung von Seika
Seika hat mir noch einen Brief zu beiden Tees in den Umschlag gelegt und empfiehlt eine Dosierung von 5g pro 100ml kochendem Wasser. Ich wäre ohne diese Empfehlung sicherlich zurückhaltender gewesen, vertraue aber seinem Urteil. Der zweite Aufguss soll sofort abgegossen werden. Danach fährt man wieder mit ca. 30 Sekunden fort und passt die Ziehzeit an den eigenen Geschmack an.
DSC_0498
DSC_0480
Geschmack
Wer den Geschmack von Sencha kennt, wird überrascht sein, dass der kamairi-cha überhaupt nichts mit diesem zu tun hat. Folglich schmeckt der erste Gang auch nicht nach Umami, stattdessen ist er süß, zart herb, erinnert einerseits an Kräuter, aber welche? Und dann ist da noch der gemüsige Geschmack, dieser äußert sich aber auch anders als bei Sencha: die zuvor gerochene Gurke kommt gepaart mit ein wenig Zucchini zurück.

DSC_0488
Die Farbe des Tees tendiert mehr zu Gelb als zu Grün

Der Geschmack bleibt über die Aufgüsse relativ konstant. So notiere ich für den dritten Aufguss einen etwas stärkeren Gurkengeschmack. Der vierte hingegen hinterlässt ein cremiges Mundgefühl, wie es Jinxuan-Oolong tun. Dazu ist er etwas pikant im Rachenbereich. Der fünfte bringt wieder die Süße in den Vordergrund. Ich bin mir nicht sicher, aber ist das ein Hauch von Vanille mit Obstkompott, was ich da schmecke? Der letzte lässt mich an den Grundgeschmack der “modernen” und wenig oxidierten Oolong denken.

DSC_0496

Blattgut
Die aufgequollenen Blätter offenbaren, dass bei einigen Blättern der Oxidationsprozess bereits einsetzte. Auffällig ist auch, dass im Gegensatz zu Sencha viele Blätter intakt sind und einen fleischigeren Eindruck machen. Die Verarbeitungsmethode scheint die Blätter zu schonen.

DSC_0501
An einigen Stellen sieht man leicht braune Stellen – Spuren der Oxidation
DSC_0500

Fazit
Ich habe schon mal einen tamaryoku-cha probiert, ich bin aber der Meinung, dass der mehr an Sencha erinnerte als der jetzige. Woran das liegt, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht war der damalige auch bedämpft, wodurch die geschmackliche Parallele zustande kam? Der vorliegende Tee geht geschmacklich in die Richtung eines Frühlingsbancha, den ich mal getrunken habe. Der schmeckte nämlich auch sehr nach Salatgurke. Das Röstaroma habe ich leider nicht wahrgenommen, aber ich habe noch genug Blätter für einen zweiten Versuch. Vielleicht nützt es ja, wenn ich bewusst darauf achte? Oder steigt dabei das Risiko, sich selbst etwas einzubilden, was (für einen selbst) gar nicht vorhanden ist? Wie auch immer, herzlichen Dank für diesen schönen Tee, lieber Seika!

Nächster Versuch mit Keiko-Tees: Soshun

Nächster Versuch mit Keiko-Tees: Soshun

Lange Zeit war es hier still, fast einen Monat lang gab es keinen neuen Blog. Diese kleine Durststrecke passierte nicht ganz unfreiwillig, denn aus Frau S. ist Frau P. geworden und so ein schönes Ereignis hält einen dann doch mal vom Schreiben ab. Tee wird plötzlich sekundär – Recht so!Aber da es hier um Tee geht, kehren wir zu diesem Thema zurück und widmen uns einem Tee, den ich noch vor der Hochzeit getrunken habe. Der letzte Blog beschäftigte sich noch mit Keiko-Tees und daran würde ich gerne anknüpfen. Dieses Mal soll aber ein Halbschattentee (jap.: kabusecha 被せ茶, Abgedeckter Tee) des Unternehmens im Vordergrund stehen, denn schließlich sind es auch diese Tees, auf die sie sich spezialisieren. Eine Beschreibung der Herstellungsweise findet ihr auf der Seite von Keiko. Key beschreibt in seinem Blog die Eigenheit eines kabusecha wie folgt:

kabuse, genauer kabusecha, ist ein künstlich beschatteter tee. es werden etwa eine woche vor der ernte sehr feinmaschige netze über die pflanzen gezogen, die rund 50% des sonnenlichts wegfiltern. durch den teilweisen lichtentzug bilden sich weniger bitterstoffe/katechine, dafür mehr aminosäuren/theanin. halbschattentees sind milder als vergleichbare senchas.

Der Soshun (nach Keiko als “zeitiger Frühling” übersetzt), der bereits im April in Kagoshima gepflückt wurde, soll sich durch einen samtigen Geschmack, eine intensive Süße und einen sogenannten “wiederkehrenden Geschmack” auszeichnen. Spontan denke (nicht nur) ich an die wiederkehrende Süße des Pu Erh, die sich am Gaumen manifestiert. Bei diesem Tee wirkt sich das allerdings etwas anders aus.

CIMG9971

Optik und Aroma
Meine kleine Probe enthielt leider überwiegend gebrochene Blätter, bei einem Kauf einer ganzen Packung dürfte dies anders aussehen. Das Blatt ist dunkelgrün und optisch von einem Gyokuro kaum zu unterscheiden – ich könnte es nicht. Im warmen Gaiwan steigt eine intensive Süße auf. Die Aromen sind die gleichen wie bei japanischem Süßgebäck, das mit Algen zubereitet wird. Eine sehr harmonische Kombination, die auch ein bisschen an Waffeln erinnert.

CIMG9974

Geschmack
Der erste Aufguss kommt mit 70°C und 90 Sekunden Ziehzeit (3g auf 60ml) wunderbar zurecht. Anders als der zuletzt beschriebene Benifuuki. Der Soshun bringt einen sehr edlen und runden Umami-Geschmack hervor, den ich mir gerne auf der Zunge zergehen lasse. Der Geschmack ist langanhaltend, fühlt sich tatsächlich samtig an und wandelt sich in Richtung Fleisch. Diese Assoziation mag nicht jeder teilen, ich finde aber, dass saftiges Fleisch oder auch Suppenfleisch abseits der hinzugefügten Gewürze über genau diesen Geschmack verfügt. Lecker!

CIMG9975
Nach 90 Sekunden erstaunlich klar und hell!

Der zweite Aufguss gibt den verbleibenden Umami-Geschmack preis, ist jetzt endlich süß und komplex. Das Samtige weicht etwas dem Öligen und im ersten Moment denke ich an Spinat und frische Gemüsebrühe, das Empfinden ist sehr “dicht”. Die hohe Konzentration der Geschmacksstoffe macht dies wohl möglich. Darüber hinaus passiert etwas mit dem langanhaltenden Geschmack wie schon beim ersten Aufguss: ist das der wiederkehrende Geschmack, von dem Keiko schreibt? Erst im Nachklang kommt wieder das Fleisch gepaart mit einer feinen Süße.

CIMG9977
Der dritte Aufguss ist schön trüb geraten

Ab dem dritten Aufguss normalisieren sich die Aufgüsse und sind nicht mehr so intensiv wie die vorherigen. Ich notiere dafür gegrillte grüne Mini-Paprika. Und ab dem fünften bilde ich mir sogar einen pikanten Geschmack ein. Geht das überhaupt? Bis zum siebten Aufguss mache ich weiter und bin verblüfft, dass der Tee einen sehr langen Nachgeschmack bietet.

Fazit
Der Soshun gehört sicherlich nicht zu den Schnäppchen unter den japanischen Tees des deutschen Tee-Markts. Blende ich den Preis aus (über 20 Euro für 50g), dann muss ich gestehen, dass mir dieser Tee eine Menge Spaß gemacht hat. Die Intensität und der mysteriöse wiederkehrende Geschmack, den ich für mich in Richtung Fleisch gedeutet habe, sorgten für einen Aha-Effekt. Das Sortiment von Keiko ist mit Halbschattentees prall gefüllt. Ob sich da noch mehr solcher Schätze verbergen?

Erste Erfahrungen mit Keiko-Tees: Benifuuki

Erste Erfahrungen mit Keiko-Tees: Benifuuki

Mich erreichte eine feine Spende von drei kleinen Proben der Firma Keiko. Es handelt sich dabei um die Sorten Benifuuki, Tenko und Soshun. In diesem Blog geht es zunächst nur um den Benifuuki-Grüntee. Um es kurz zu machen: die 3g-Probe habe ich verschwendet, weil ich vorher zu faul war, mich mit diesem Tee genauer auseinanderzusetzen.* Stattdessen habe ich nämlich meine übliche Methode für höherwertige Sencha gewählt und den Tee damit versaut. 3g auf 60ml – eine bittere Erfahrung im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei fing alles so vielversprechend an…*Benifuuki ist ein japanischer Grüntee, der seit 1993 aus einer Kreuzung der Varietäten Camellia Sinensis und Assamica gewonnen wird. Dieser Tee ist teiloxidiert, also kein klassischer Grüntee. Er zeichnet sich darüber hinaus durch einen besonders hohen Anteil der für die Gesundheit so wichtigen Catechine aus. Diese sorgen allerdings für einen bitteren und sauren Geschmack.
Geruch:
Die Blätter riechen erstaunlich blumig und erinnern mich an meinen ersten Darjeeling von vor über 10 Jahren. Im vorgeheizten Mini-Gaiwan steigt ein süßer Duft auf, der stark an japanisches Gebäck erinnert, welches mit getrockneten Algen verfeinert wird. Im Hintergrund befindet sind ein dezenter grasiger Duft. An einen Sencha würde ich mit verbundenen Augen nicht denken. Ist es ja auch nicht.

CIMG9952
Die Blätter sind leicht gebogen bzw. gekreuselt und haben auch auf den zweiten Blick nicht viel mit Sencha gemein.

Zubereitung:
Die Dosierung ist mit 3g auf 60ml sehr hoch. Die Wassertemperatur liegt bei 70°C. Die Zeihzeit beträgt beim ersten Aufguss 90 Sekunden (!), alle weiteren werden sofort abgegossen.

CIMG9955

Geschmack:
Die Herbe bewegt sich im Rahmen des (für mich) Erträglichen, wobei ich schon zu den Leuten gehöre, die es gerne etwas herber mögen. Die Säure hat diese feine Grenze allerdings deutlich überschritten. Ich erinnere mich unwillkürlich an meinen Besuch bei den Schmidts in der Zentrale des Hamburger Teespeichers. Sie waren gerade dabei Assam-Tees zu verkosten und das geschah natürlich mit der für Teataster typischen Methode, der zufolge 2,86g Tee mit 150ml Wasser fünf Minuten gebrüht wird. Ich durfte mitschlürfen und fragte mich sogleich, wie es möglich ist, aus dieser die Reize überfordernden Brühe, irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen zu können. Ich mag Assam-Tees sehr gerne. Aber normal zubereitet. So waren die Proben einfach nur bitter, mal weniger bitter, dann wieder bitterer…

Warum ich das schreibe? Teataster können aus dieser Brühe tatsächlich ableiten, wie der Tee bei optimaler Zubereitung schmecken wird, können also die negativen Eigenschaften ausblenden und das Potenzial erkennen. Ich kann das nicht, glaubte ich zu diesem Zeitpunkt. Der Benifuuki zwingt mich allerdings dazu, mir diese Fähigkeit des Teatasters zu Herzen zu nehmen und so versuche ich die negativen Eigenschaften auszublenden.

Was ist also noch in der Tasse? Umami war leider nicht dabei, eigentlich schmeckt der Tee überhaupt nicht wie ein echter Japaner. Spontan muss ich an eine Teeprobe eines grünen Yunnan-Tees von Teegschwendner denken. Die Säure erinnert ein bisschen an Stachelbeeren, im Hintergrund ist etwas Alge zu schmecken. Die nassen Blätter riechen etwas nach Pilsener Bier.

CIMG9957
Zweiter Aufguss

Der zweite Aufguss ist dem ersten sehr ähnlich. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, etwas Vanille zu schmecken, doch sobald ich mich auf den Geschmack konzentriere, um ihn mir bewusst zu machen, hat er sich wieder verzogen. Alles nur Einbildung? Interessanterweise schmecke ich den zuvor gerochenen Bierduft, was mich ein wenig irritiert.

CIMG9958
Dritter Aufguss

Ich mache noch drei weitere Aufgüsse. Zunächst erscheint der Tee lieblicher, einen Aufguss später dann wieder kräftiger. Am Ende kommt eine fast erleichternde Süße hervor.

CIMG9959
Wenn man genau hinschaut, entdeckt man bräunlich gefärbte Stellen, welche die bereits eingesetzte Oxidation belegen

Fazit:
Wie soll ich zu dieser Erfahrung ein Fazit schreiben? Interessant wäre es zu wissen, ob sich die Geschmackseindrücke bei einer dem Tee würdigen Zubereitung bestätigen lassen würden. Ansonsten bleibt nur die Feststellung, dass man bei dieser Catechin-Bombe vorsichtig dosieren bzw. brühen sollte.

 

Den Frühling mit einem "Yame-Sencha" unter der Kirschblüte feiern

Den Frühling mit einem “Yame-Sencha” unter der Kirschblüte feiern

Wer kennt sie nicht oder hat nicht schon davon gehört, die japanische Kirschblütenschau bzw. hanami. Was in Japan eine Art öffentlich gefeiertes Volksfest ist, wird bei uns auch wegen der niedrigeren Temperaturen nur selten zelebriert. Und wenn, dann beschränkt man sich wahrlich auf das Anschauen der Blüten. In Japan ist es schwieriger zu dieser Jahreszeit unbesetzte Kirschblüten zu sehen, d.h. Kirschblüten, unter denen nicht eine Gruppe von Menschen bei Bier, Reiswein und leckeren Speisen beisammen sitzt und feiert. Wir haben es da einfacher oder auch einfach die freie Wahl.

CIMG9909
Sencha: yame no sato. Irgendwo auf Kyûshû im Jahr 2011 gekauft und bis heute eingefroren

Frau S. und ich haben das Glück, einen Tag zu erwischen, der sich von der Wärme dazu eignet, nach draußen zu gehen und Tee zu trinken. So nehmen wir einen Gaskocher und verschiedene Tee-Utensilien mit und hocken uns auf eine nahe gelegene Wiese in die Nähe eines Kirschbaums. Mein etwas zu groß geratener Kupferkessel braucht eine Weile, um das Wasser zum Kochen zu bringen. In der Zwischenzeit bereite ich sorgfältig die Utensilien vor.

CIMG9907

 

Der Tee ist ein Sencha der Firma Fushun’en (冨春園) mit dem Namen Yame no sato, was so viel bedeutet wie die Heimat von Yame. Das Blatt sieht anständig aus, gerollt zu langen Spitzen. Etwas Bruch ist auch dabei und die Farbe bewegt sich im dunkelgrünen Bereich. So sollte guter Sencha aussehen.

CIMG9904
Eine etwas andere Präsentationsschale

Der Duft
In der vorgewärmten shiboridashi ergibt sich ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Aromen. Wer schon mal asiatisches Reisgebäck mit gerösteten Algen gegessen hat, wird bei diesem Tee sofort daran denken müssen. Außerdem ist ein feiner süßer Duft zu vernehmen, der an Spinat erinnert. Nicht ungewöhnlich für einen Sencha.

Die Zubereitung
Auf der Verpackung wird empfohlen, den Tee in einem Verhältnis von 1g auf 20ml Wasser (70°C) zu dosieren und beim ersten Aufguss 90 Sekunden ziehen zu lassen. Der zweite Aufguss soll hingegen sofort nach dem aufgießen wieder abgegossen werden.

CIMG9911

Der Geschmack
Schon während des Eingießens in die kleine Servierkanne kommt ein schöner gemüsiger Geruch emporgestiegen. Ist das nicht der Duft von in Butter geschmortem Gemüse? Es riecht jedenfalls deftig und macht sofort Appetit.
Der Tee schmeckt sehr ausgewogen und es ist keine Spur Bitterkeit enthalten. Bei dieser hohen Dosierung ist das keine Selbstverständlichkeit. Eine feine Süße dominiert, der Aufguss ist etwas “ölig”, irgendwie dichter, Umami ist natürlich auch enthalten und ich stelle fest, dass mir diese Eigenschaft jetzt richtig schmeckt. Bin ich schon bekehrt? Früher mochte ich diesen Geschmack doch nicht. Frau S. ist leider noch weit entfernt ihn zu mögen. Sie fand den Tee, den ich früher zubereitet habe und der weniger nach Umami geschmeckt hat, sehr viel besser. Wer mich kennt, der weiß, dass ich diesen Geschmack vor nicht allzu langer Zeit selbst nicht gemocht habe. Wir haben daraus ein kleines Wortspiel konstruiert. Umami heißt direkt übersetzt auch einfach Wohlgeschmack. Sagt man auf Japanisch umai, welches die Adjektivform des Nomens ist, dann meint man damit, dass etwas gut schmeckt bzw. lecker ist. Das Gegenteil davon bedeutet mazui, daher sagt Frau S. nicht Umami zu dem Geschmack, den sie nicht mag, sondern mazumi (“Schlechtgeschmack”). Naja, jedenfalls ist der Geschmack schön langanhaltend und hat auch etwas Frisches, was mich an Zitronenschale denken lässt.

CIMG9913
Ich habe mich aus Frau S.’ Schildkrötenfigurensammlung bedient.
CIMG9923

Zweiter Aufguss
Dieser Aufguss ist etwas trüber geraten und schmeckt jetzt etwas frischer und hat etwas mehr Körper, wirkt insgesamt kräftiger und ist vor allem herber. Am Gaumen spüre ich etwas, was ich nur von Pu Erh kenne. Die Herbe schlägt nach kurzer Zeit in eine kernige Süße um. Der Geschmack ist jetzt grasig, dafür hat das Gemüse abgenommen.

CIMG9924
Frau S. gehört die weiße Tasse

Dritter Aufguss
Der dritte Aufguss schmeckt nach den beiden gehaltvollen Tassen etwas enttäuschend. Wäre dies die erste Tasse, würde ich auf einen ganz normalen Sencha tippen. Für Frau S. ist dies der erste Aufguss, der ihr richtig schmeckt. Sogar den vierten nimmt sie noch mit.

Fazit
Ohne zu überteiben, muss ich gestehen, dass dies einer der besten Sencha ist, den ich bisher probiert habe. Ein kurzer Blick ins japanische Internet verrät allerdings, dass es diesen Tee so nicht mehr zu kaufen gibt. Sehr schade! Vielleicht kann man mit dieser Zubereitungsempfehlung auch aus anderen Sencha etwas mehr herausholen. Ich werde es jedenfalls in meine Versuche einbeziehen.

Nachtrag
Die Zubereitung hat sich auch bei einem anderen Sencha bewährt. Er schmeckte zwar nicht so gut wie dieser hier, war aber trotz meiner Befürchtung, dass er zu bitter geraten würde, überraschend genießbar.

Banko-Keramik Teil I: Die Geschichte

Banko-Keramik Teil I: Die Geschichte

Mit steigender Popularität von japanischem Grüntee in der Edo-Zeit (1615—1868) war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die chinesischen Utensilien in den Fokus der Teeliebhaber gerieten, wurde doch diese Trinkkultur aus China übernommen. Dazu gehörte eine Kanne, häufig mit einem Seitengriff, die kyûsu genannt wird. Bis dahin war nur Tee in Form eines feinen Pulvers (matcha) populär, der mit einem Teeschläger und heißem Wasser aufgeschlagen und nicht aufgebrüht wurde. Wer es sich leisten konnte, importierte die teuren chinesischen Keramiken, aber naturgemäß konnten das die Wenigsten, weswegen schon bald japanische Töpfer anfingen, diese Kannen zu imitieren.
In Japan gibt es eine lange Tradition, Keramiken nach ihrem Herkunftsort zu bezeichnen: Bizen, Shigaraki, Echizen usw. sind Beispiele dafür und auch Tokoname reiht sich in diese Gruppe ein. Tonkannen aus Tokoname gehören seit langer Zeit zu den populärsten Kannen Japans, die auch internationale Anerkennung erhielten. Etwas im Schatten dieser Region befindet sich die Stadt Yokkaichi in der Präfektur Mie. Die dort hergestellten Waren werden seit 1979 zu den traditionellen Handwerkprodukten gezählt, sind bekannt unter dem Namen Banko und zeichnen sich durch ihre Hitzebeständigkeit und eisenhaltigen Ton aus.
Im Vergleich zu Tokoname ist die Geschichte von Banko-Keramik kurz erzählt: Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat ein gewisser Nunami Rôzan in der Nähe von Ise und später auch in Edo seine Töpferwaren mit einem Siegel gestempelt, welches den Namen Banko (萬古) trug. Werke aus dieser Zeit tragen zur Unterscheidung von späteren Produkten allgemein den Namen ko-Banko (altes Banko 古萬古). Rôzan war ein Tee-Liebhaber und lernte in Kyôto neben herausragenden Persönlichkeiten und Teemeistern auch die dortige Keramik wie z.B. Raku und dekoriertes Kyô-yaki kennen und ließ sich davon inspirieren. Das resultierte in Porzellan-ähnlichen Waren mit Dekoren.

Größere Kartenansicht
Nach seinem Tod im Jahre 1777 verschwand diese Keramikgattung für kurze Zeit von der Bildfläche ehe 1831 ein gewisser Mori Yûsetsu (1808-1882) die Tradition wieder aufgriff, indem er das Siegel von Rôzans Sohn abkaufte. Yûsetsu stellte zwar Keramiken in Anlehnung an Rôzans Werke her, brannte aber auch undekorierte braune Ware mit dünnen Wänden, die speziell für den Sencha-Konsum gedacht waren. 1870 wurde durch Yamanaka Chûzaemon in Yokkaichi ein Ofen in Betrieb genommen, dessen Waren sich am Stil Yûsetsus orientierten und sogar bei der Pariser Weltausstellung im Westen Anklang fanden und im 20. Jahrhundert im großen Stil exportiert wurden. Damals wurde Steinzeug mit roter Aufglasurmalerei auf einer beigefarbenen Unterglasur hergestellt.
In Anbetracht der über 200jährigen Geschichte fällt es schwer, eine Entwicklungslinie nachzuzeichnen — zu unterschiedlich fallen die Stile aus. Zum Beispiel wurde anfangs noch mit aufsteigenden “Drachenöfen” (noborigama 登窯) gebrannt, heute aber in Gas- oder Elektroöfen. Holzschablonen und Freihandaufbau sind Töpferscheiben und einem Gießverfahren gewichen. Anfangs wurden dekorierte Keramiken hergestellt, heute sind es vor allem die bräunlichen Tee-Utensilien mit einem leichten metallischem Glanz, die ein Teeliebhaber unter Banko-yaki versteht. Manchmal spricht man auch von einer bräunlich-violetten Färbung, wenn das Stück aus eisenhaltigem roten Ton (shudei 朱 泥) hergestellt wird. Diese Färbung kommt durch einen interessanten Effekt zustande: Sobald die Tür des Ofens geöffnet wird, oxidiert das Eisen auf der Oberfläche und wird rot. Durch den Reduktionsbrand ist das meiste Eisen im Tonkörper aber blau. Beides Zusammen ergibt dann ein bräunliches Violett.

CIMG9841
Eine moderne Banko-kyûsu mit handsignierter Holzschachtel von Tachi Masaki.

Ein bekannter japanischer Töpfer ist Tachi Masaki, der als traditioneller Kunsthandwerker gilt und von der Stadt Yokkaichi zum geistigen Kulturschatz (mukei bunkazai 無形文化財) erhoben wurde. Preise hat er so einige verliehen bekommen, zur größten Ehre gehörte wohl aber, dass ausgerechnet seine Werke als Geschenke dem kaiserlichen Geschwisterpaar als Begrüßungsgeschenk überreicht wurden, als diese die Stadt Yokkaichi besuchten. Es folgt am Ende ein Video von Tachi Masaki, in dem er die Herstellung einer kyûsu demonstriert. Das Video stammt von Akira Hojo, einem japanischen Teehändler mit großer Begeisterung für Teekeramik, der Keramiken von Tachi Masaki anbietet. Eine alternative Bezugsquelle ist yuuki-cha.com, wo es ebenfalls einige ausgewählte Werke gibt, zu denen auch farblich dekorierte Kannen gehören. Ich vermute, dass es sich bei diesen neuen Kreationen um Anlehnungen an Banko-Traditionen handelt, die in der Frühphase hergestellt wurden. Solch ein Bild findet ihr hier.
Ein anderer berühmter Töpfer ist Mori Iroku, der für seinen Diamanten-Schliff bekannt ist. Heute gibt es aber über 100 Töpferbetriebe, in denen Banko-yaki hergestellt wird. Bei “thés du japon” lassen sich noch weitere Kannen von anderen Töpfern finden. Vor allem dem natürlichem shudei-Ton wird eine positive Wirkung auf den Geschmack des Wassers und des Tees nachgesagt. Dieser Mythos (?) wird im nächsten Blog behandelt. Und schließlich noch eine Buchempfehlung für alle, die sich einen kurzen Überblick über die Vielfalt japanischer Keramik wünschen: Wege zur Japanischen Keramik: Tradition in der Gegenwart

Geburtstagstee für Frau S.: Ein grüner Oolong aus Japan

Eine der (zweifelhaften?) Freuden, die sich ergeben, wenn man mit einem Tee-Liebhaber zusammen lebt, ist, dass man zu besonderen Anlässen besondere Tees trinken darf. Wie andere Menschen kostbare Momente mit dem richtigen Wein oder Essen krönen, mache ich das gerne mit Tee. Daher durfte Frau S. heute einen Tee aussuchen und wer sie kennt, der weiß, dass ihre Wahl nicht auf Pu Erh gefallen ist. Nach reichlicher Überlegung fiel die Wahl auch aus pragmatischen Gründen auf einen Oolong. Der Tee musste den besonderen Anforderungen des Tages entsprechen und das bedeutet, dass bei zahlreichen Anrufen keine lange und konzentrierte Tee-Session möglich sein würde. Daher fiel die Wahl auf einen grünen Oolong. Da wir Tie Guan Yin schon sehr gut kennen und dieser Tee nichts Außergewöhnliches gewesen wäre, entschieden wir uns für einen ungewöhnlichen Japaner: Ein grüner Oolong aus der Präfektur Miyazaki (Gokase) mit dem Namen Meiryoku.

Tee-Anbaugebiete auf einer größeren Karte anzeigen
Diesen Tee habe ich vor einem Jahr von meiner lieben Schwester zum Geburtstag bekommen und erst jetzt probiert. Also mein Geburtstagstee zum Geburtstag meiner Liebsten. Passt, oder? Alle, die mir in der Vergangenheit Teeproben geschickt haben und sich wundern, warum ich sie noch nicht probiert habe, dürften jetzt verstehen, dass es bei mir durchaus länger dauern kann, einen besonderen Tee zu trinken.
Ein weiteres Geschenk durfte heute sein Debüt feiern. Es ist eine Shiboridashi 絞り出し, die ich zu Weihnachten bekommen habe. Eine Shiboridashi ähnelt einer chinesischen Deckeltasse (Gaiwan), aber sie ist viel flacher und breiter und eignet sich gut für Gyokuro. Diese Shiboridashi stammt von Petr Nováks, einem tschechischen Töpfer, der sich auf Tee-Keramik spezialisiert hat. Petr ist auch ein Tee-Liebhaber, schreibt einen eigenen Blog und stellt Keramiken her, die einigen bekannten japanischen Stilen nachempfunden sind. Wer sich für Tee-Keramik und Petrs Arbeiten interessiert, der darf sich auf einen meiner nächsten Blogs freuen, in dem ich ihn und einige seine Werke genauer vorstellen werde.

IMG_0586
Die gelben Flecken auf dem Gefäß sehen nach geschmolzener Holzasche aus

Die Shiboridashi ist außen sehr rau und trägt unterschiedliche Farben und Texturen, welche durch differierende Brennkonditionen entstanden. Der Ton ist grob, etwas sandig, und es ist ein Vergnügen das Gefäß in den Händen zu rotieren. Innen ist sie glasiert, daher kann man sie für verschiedene Tees benutzen ohne dabei befürchten zu müssen, dass der Geschmack vom Vorgänger in die Tasse gerät. Spontan muss ich bei dieser Keramik an Bizen-yaki (Bizen-Keramik 備前焼) denken, daher werde ich mal einen Blog schreiben, in dem ich beide nebeneinander stelle.

IMG_0589
Hier sieht man die unterschiedlichen Farben der Oberfläche
IMG_0587
Innen ist die Shiboridashi glasiert

Als Präsentationsschale durfte eine Muschel aus Kolberg (Polen) herhalten, die ich nach Weihnachten vor Ort kaufen konnte. In Japan gab es im 16. Jahrhundert die Gewohnheit, “gefundene” Objekte, die sich für Tee eigneten ausfindig zu machen und umzufunktionieren. So wurden z.B. koreanische Reisschalen zu Teeschalen. Im zunehmend standardisierten Teeweg wurde diese Kreativität schon bald geopfert, um sich am großen Vorbild Sen no Rikyûs (1522-1591) zu orientieren. Ein Teemeister, der sehr konsequent auf kreative Elemente gesetzt hat, war Furuta Oribe (1544-1615), der Riykûs Schüler war, sich aber später seinem eigenen Stil widmete und viele Anhänger hatte. Am japanischen Tee hat mich diese Kreativität schon immer fasziniert. Ich denke, dass diese Offenheit dazu führte, dass sich alternative Ästhetikvorstellungen etablieren konnten und nehme mir daran ein Vorbild. Wenn ich etwas finde, dass ich für Tee gebrauchen kann, unabhängig davon, ob es zu diesem Zweck gemacht wurde, dann kaufe ich es oder funktioniere etwas bereits Vorhandenes um.

Der Tee wirkt auf den ersten Blick unspektakulär. Anstelle eines satten Grüns wirken die Blätter wie ausgeblichen. Ich gebe zu, dass der rein optisch nicht zu überzeugen weiß. Die Form der Blätter ist so wie Oolong wohl mal war: Geschwungene, wellenmäßige Formen, die an einen Drachen erinnern.

Der Duft ist schon überraschend würzig und lässt mich spontan an eine Mischung aus Honig und Lebkuchen denken. Oder doch Honigkuchen? In der warmen Shiboridashi ändert sich der Duft in Richtung Schwarztee, vielleicht Assam.

IMG_0593
Links oben eine Raku-chawan, die ich zum kensui 建水 umfunktioniert habe. Unten links ein Seladon-Schälchen

Einen “Spülgang” spare ich mir, stattdessen lasse ich den Tee 30 Sekunden ziehen. Beim Eingießen in die kleinen Seladon-Schälchen steigt ein bekannter aber total unerwarteter Duft auf: Es riecht nach Tie Guan Yin! Das ist schon eine kleine Sensation, da der Tee von Anfang an ganz anders gerochen hat und ich das überhaupt nicht erwartet hätte. Aber in der Tasse habe ich den typischen Orchideen-artigen (zumindest wird er von allen so beschrieben, ich habe noch nie an einer duftenden Orchidee gerochen) Duft. Auch die nassen Blätter geben jetzt diesen Geruch ab. Sehr vielseitig, dieser Japaner.

IMG_0592
Der Aufguss ist eher gelb als grün

Der erste Aufguss schmeckte so wie es der Geruch schon angedeutet hat. Ein dezenter und blumiger Geschmack, geprägt von Süße mit dem Orchideen-Duft in der Nase. Ein Tee nach Frau S.’ Geschmack.

Beim zweiten Aufguss wird der Tee etwas gehaltvoller mit malzigen Noten und Spuren von Honig. Die Ähnlichkeit zu Tie Guan Yin dominiert aber nach wie vor.

Ab dem dritten Aufguss geht der Duft etwas zurück, im Geschmack bleibt der Tee mehr oder weniger konstant und überrascht mich besonders beim sechsten Mal. Da habe ich den Aufguss versehentlich vergessen, weil wir gerade durch ein Skype-Gespräch mit Japan unterbrochen wurden. Der Tee hat es uns verziehen und schmeckte sehr frisch und spritzig. Da müssen sich wohl einige Säuren mehr aus den Blättern gelöst haben.

Den Tee haben wir noch bis zum achten Aufguss weiter getrunken und waren sehr zufrieden. Nach dem achten Aufguss hätte man vielleicht noch zwei experimentelle hinterherschieben können, aber wir waren zufrieden und haben den Tee wieder Tee sein lassen.

IMG_0595

Die Blätter sehen im Shiboridashi schön saftig aus und haben sich voll entfaltet. Man sieht, dass die Blätter (wie bei Oolong üblich) ganz erhalten geblieben sind. Das spricht für handgepflückte, was in Japan eigentlich nicht üblich ist. An einigen Exemplaren kann man die mehr oder weniger fortgeschrittene Oxidation erkennen.

IMG_0598

 

Fazit: Ein Tee, der sich hinter chinesischen Originalen nicht verstecken muss, auch wenn er für hochwertige Tie Guan Yin keine Konkurrenz darstellt. Dafür geht der Geschmack dann doch in eine andere Richtung, obwohl Parallelen vorhanden sind. Wer grüne Oolong und Tie Guan Yin mag, der sollte einen Japaner ruhig mal probieren. Leider ist dieser Tee momentan nicht mehr erhältlich. Dafür gibt es andere grünliche Oolong, ebenfalls aus Miyazaki, die vielleicht ähnlich verarbeitet wurden. Versuch macht klug 🙂

Letzer Tee des Jahres: Darjeeling First Flush Risheehat

Lange habe ich hin und her überlegt, welchen Tee ich am letzten Tag des Jahres trinken soll, doch dann habe ich ganz pragmatisch entschieden. Hintergrund ist, dass ich diesen Tag bei meinen zukünftigen Schwiegereltern verbringe und ich Tee-Utensilien und Tee erst mitschleppen muss. Ursprünglich wollte ich einen Pu Erh von William trinken, aber dafür hätte ich neben den Utensilien noch einen Wasserkocher mitnehmen müssen. Die Vorstellung bei meinen zukünftigen Schwiegereltern einen in ihren Augen unnötig großen Aufwand nur für Tee zu veranstalten, der bei 15 Aufgüssen plus Spülen dann doch größer ausfällt, hat mich zum Darjeeling getrieben, den ich in einer kleinen Kyûsu (急須 Seitengriffkanne) zubereitet habe. Sie müssen meine “Nerdigkeit” ja nicht gleich in vollem Ausmaß erleben.

IMG_0541
Die zweckentfremdete kyûsu

Die Kyûsu ist Steinzeug aus gröberem Ton und fühlt sich wunderbar rau an, obwohl sie mit einer leichten transparenten Glasur überzogen ist. Gefunden habe ich dieses Stück zufällig in Imari, eine Stadt im Süden Japans, die vor allem für Porzellan bekannt ist. Da stand sie in einem Geschäft (etwas deplatziert) und auf meine Frage, wie viel sie denn kosten solle, kam die überraschende Antwort: 1000 Yen (ca. 10 Euro). Dafür, dass die Kyûsu handgetöpfert ist und schöne Spuren von diesem Prozess aufzeigt, ist das ein sehr niedriger Preis. Am Boden der Kanne befinden sich aber kleine Unregelmäßigkeiten, die wahrscheinlich der Grund für dieses Sonderangebot sind. Da das Sieb nur aus ein paar recht großen Löchern besteht, benutze ich diese Kanne nicht für japanische feine Sencha, sondern für etwas bessere Schwarztees, die keinen besonders dunklen Aufguss ergeben.
Gute Tees für die Kanne sind z.B. die First Flushs aus Darjeeling, in diesem Fall ein besonders junger (DJ 3, also dritte Pflückung der ersten Ernte des Jahres!) Risheehat, den ich als Probe im Hamburger Teespeicher gekauft habe.

IMG_0552
Sehr gut erhaltene ganze Blätter. Die Schale ist geborgt.

Dieser Tee besteht aus vielen intakten Blättern, die schon im trockenen Zustand verraten, dass sie sorgfältig verarbeitet wurden. Da kommt Vorfreude auf, die Blätter im nassen Zustand zu genießen.
Zum ersten Teegenuss gehören auch die richtigen Tassen, in denen die Farbe des Tees zur Geltung kommt. Eigentlich bevorzuge ich sonst für Tees, die ich schon kenne, Keramiken in verschiedenen Farbtönen. Zum Glück hat man Freunde, die einem etwas mitbringen. Diesen Sommer kam Yûsuke aus Japan und brachte neben einem japanischen Reiswein auch zwei Becher mit.

IMG_0536
Das Setting ist fertig

Diese Becher sind auch aus Steinzeug, tragen aber eine hübsche weiße Glasur, die zum Lippenrand hin den Tonkörper nicht mehr vollständig zu bedecken vermag. Ich weiß nicht, wofür sie ursprünglich gefertigt wurden, aber sie geben prima Becher für Tee ab.

IMG_0553

Der Bereich um den Fußring ist (typisch japanisch) unglasiert, zeigt einen rötlichen Scherben und die Signatur des für mich leider unbekannten Töpfers. Der grobe rötliche Ton weist auf einen hohen Eisengehalt hin. Es ist immer wieder eine Freude mit dem Finger über den Scherben zu streichen und seine Eigenheiten haptisch zu erfassen. Jeder Ton ist anders und verrät etwas über seine Herkunft und den Geschmack des Töpfers! Daher nennt man das Betrachten des Tons in Japan auch tsuchi no aji  土の味 – den Geschmack (auch Gefühl) des Tons. Vielen Dank, lieber Yûsuke, für diese schönen Becher!

IMG_0537
Schöne grobkörnige Tonerde, die noch die Spuren der Herstellung erkennen lässt

Kommen wir nun zum Tee, schließlich geht es ja um den letzten Tee des Jahres. Die Blätter riechen wie ein guter Darjeeling First Flush zu riechen hat: Blumig, süßlich wie Maiglöckchen, dazu noch etwas Minze und Kamille. Aufgegossen ist der Geruch der Blätter noch süßer und etwas herb.

IMG_0556
Auch die Untersetzer haben wir von Yûsuke. Sie passen sehr gut zu den Bechern.
IMG_0558

Die Farbe des Tees ist nach zwei Minuten dunkelgelb, was bei den überwiegend hellen Blättern kaum verwundert. Der Aufguss riecht in der Tasse überraschend schwach. Im Geschmack zeigt sich der Tee mild und erinnert zuerst wenig an Darjeeling First Flush. Besonders fällt die Süße auf. Weitere wahrnehmbare Aromen sind blumige Düfte und Zitronengrass. Im Mund ist der Tee sehr weich und mild. Frau S. gefällt der so sehr gut.  Mir ist er nach etwas mehr als zwei Minuten Ziehzeit etwas zu lasch. Ein weiterer Aufguss folgte mit 4 Minuten und siehe da: Schon im Becher zeigt sich ein intensiverer Duft. Das ist Darjeeling! Der riecht jetzt viel ätherischer und kräftiger. Im Geschmack ist die Süße fast genau so stark und er zeigt sich vollmundiger und aromatischer. Frau S. mag den Tee auch, aber im Hals ist er ihr ein bisschen zu kratzig.
Sehr interessant finde ich die Diskrepanz der ersten beiden Aufgüsse. “Schwarzen” Tee gießt man ja häufig nur einmal auf, ich aber tendiere bei den guten Qualitäten immer zu einem zweiten Aufguss und fahre in der Regel sehr gut damit. Bei diesem Tee müsste man eigentlich die erste Ziehzeit auf ca. 3 Minuten verlängern, aber ob dann noch genug Kraft für einen weiteren Tee in den Blättern übrig bleibt? Das wird das Jahr 2013 zeigen.

IMG_0567
Links ein paar trockene Blätter, rechts die nassen

Der erste Eindruck der Blätter täuschte nicht. Die jungen Blätter sind in einem äußerst guten Zustand und überwiegend grün, weil sie wenig Chlorophyll enthalten. Dieses Chlorophyll ist bei der Oxidation für die dunkle Färbung verantwortlich. Spätere Pflückungen müssten daher immer dunkler werden.* Ein schöner Tee für den Jahresausklang! Die zukünftigen Schwiegereltern sind sogleich auf den Duft aufmerksam und dadurch auf den Tee neugierig geworden. Daher bereite ich Ihnen heute den Tee noch einmal zu.
Fazit: Dieser Darjeeling ist nicht ganz so rustikal wie andere First Flushs und ist viel delikater und zarter. Dadurch kommen die feinen Aromen meiner Meinung nach besser zur Geltung und werden z.B. nicht von Adstringenz überlagert. Ein sehr schöner Tee mit einem meiner Meinung nach fairen Preis, wenn ich bedenke, was andere First Flushs sonst zu bieten haben. Andererseits ist es eher ein Tee für den besonderen Moment, da man sich für ihn die nötige Zeit nehmen sollte.

Allen Lesern ein frohes, neues, gesundes und gesegnetes Jahr 2013!

*Im Teetalk-Forum hat sich eine interessante Diskussion zu diesem Thema ergeben. Tatsächlich gibt es verschiedene Meinungen über die Ursache der grünen Blätter. Bis eine endgültige Klärung aussteht, wird an dieser Stelle nur auf den entsprechenden Thread verwiesen.

Nachtrag: Der Tee kam gut an. Der erste Aufguss schmeckt nach drei Minuten sehr viel intensiver. Der zweite Aufguss mit ca. 4,5 Minuten ist nicht mehr so kräftig wie bei der ersten Zubereitung, aber er hat ein Merkmal, welches ich beim ersten vermisst habe und den ich sonst in jedem Flugtee herausschmecke. Ich weiß nicht genau, wie ich diesen Geschmack oder das Aroma am besten beschreiben sollte, aber es hat etwas von ätherischen Ölen und Salatgurke(?). Auf jeden Fall ist dieser Aufguss noch immer lohnend, auch wenn er etwas kratziger im Rachen ausfällt.

Mecha 芽茶: Japanischer Blattknospentee

Was ist Mecha? In Japan versteht man darunter einen Tee, der aus Blattspitzen und/oder Knospenansätzen von Blättern, die auch für Sencha oder Gyokuro verwendet werden, hergestellt wird. Dabei handelt es sich, ähnlich wie bei Kukicha (Stängel) und Konacha (Bruch, Pulver), um ein Nebenprodukt, welches bei der Sencha- und Gyokuro-Herstellung anfällt. Trotz dieser “Zweitklassigkeit”, die sich auch im niedrigeren Preis widerspiegelt, steht der Tee zumindest theoretisch seinen Vorbildern in nichts nach, weil es sich bei dem Produkt ja immer noch um Blätter handelt. Ein charakteristisches Merkmal für Mecha sind rundliche Blätter, welche gleichzeitig ein Indikator für ein hochwertiges Produkt sind. Das liegt daran, dass die Blattspitzen und Knospen sehr saftig sind und einen hohen Wassergehalt aufweisen, weswegen sie sich später einrollen. Außerdem sollen gerade in diesen Blattteilen die typischen Inhaltsstoffe besonders gut verdichtet sein, weswegen alle Bestandteile wie Umami, Koffein aber auch Herbe nicht fehlen. Auf der anderen Seite ist dieser Blattgrad der Grund dafür, dass man die Blätter nicht zu heiß aufgießen darf, da sonst eine bittere Brühe daraus zu werden droht.Gekauft habe ich den Tee bei Chasen, ein auf Japan-Tee spezialisiertes Tee-Geschäft, welches vor allem dadurch auffällt, dass es auch weniger bekannte Produkte wie eben Mecha und sogar Aracha 荒茶 (unsortierter, “roher” Tee) anbietet. Bei meinem Mecha handelt es sich um ein Produkt aus Uji, welches aus der Gyokuro-Produktion stammte.Die Zubereitungsempfehlung des Verkäufers lautet wie folgt: Man nehme 65°C heißes, bzw. warmes Wasser und pro 100ml 2g Tee. Die Dosierung ist nicht besonders stark: Japanische Quellen empfehlen für Mecha häufig mehr als das Doppelte (z.B. 5g auf 100ml). Dafür geht der Kunde mit dieser Dosierung wenig Risiko und der Aufguss ist garantiert genießbar. Dieser Tee sieht ein bisschen aus wie ein Broken-Tee, aber bei genauerem Hinsehen sieht man, dass die Kanten des trockenen Blattguts abgerundet sind. Also ist das Anforderungsprofil, welches oben beschrieben wurde, schon mal erfüllt. Die Ziehzeit beträgt für die einzelnen Aufgüsse in Sekunden: 60/20/80/120.

CIMG9596
Auf dem Foto schlecht zu erkennen: die runden und eingerollten Blätter

Das trockene Blatt riecht im vorgewärmten Gaiwan ähnlich wie ein Gyokuro nach getrockneten Algen, wie man sie gerne in Asien, speziell in Japan und Korea, isst.

CIMG9567

Der erste Aufguss ist ausgesprochen süß. Diese Süße ist nicht so gemüsig, wie ich sie von verschiedenen Sencha kenne, sondern einerseits markanter, andererseits sticht sie möglicherweise gerade deswegen hervor, weil der Aufguss keine besondere Tiefe erreicht. Vielleicht kommt das aber noch.

CIMG9568
1. Aufguss: noch sehr hell

Der zweite Aufguss ist tatsächlich körperreicher geworden und ergibt eine schöne Mischung aus Süße und Umami. Mein Favorit. So mag ich Umami gern, nicht zu aufdringlich und nicht so ölig, sondern tatsächlich und im wahrsten Sinne des Wortes Wohlgeschmack!

Der dritte Aufguss ist stärker. Dabei kommt die Herbe recht spät, sie hätte ich eigentlich früher erwartet. Umami und Süße sind weg, dafür muss ich mehr an Sencha denken – keine schlechte Assoziation!

CIMG9571
3. Aufguss

Der vierte Aufguss ist wieder etwas milder. Die Süße kommt wieder, auch wenn sie nicht an den ersten Aufguss heran reicht. Mir erscheint er eher wie eine verwässerte Version des ersten, aber wir haben ja auch schon den vierten Aufguss erreicht. Sogar der fünfte ergab noch einen lohnenswerten Geschmack!

CIMG9570
4. Aufguss

Das nasse Blatt lässt mich eigentlich weniger an heile Blattknospen, wie man sie von jungen Tees kennt, denken. Eigentlich sieht es eher nach gebrochenen Blättern typischer Broken-Tees aus. Blattspitzen erkennt man viele, aber wie muss ich mir eine Battknospe vorstellen? Was ich unter Blattknospen verstehe, ist eigentlich ein Blatt welches im Begriff ist zu wachsen. Das müsste doch eigentlich zu erkennen sein, oder?

CIMG9574
Die Zubereitung in einem Gaiwan ist etwas umständlich, da man die vielen kleinen Blätter beim Ausgießen nicht aufhalten kann

Fazit: Hält man sich an die empfohlene Zubereitungsweise des Verkäufers, macht man definitiv nichts verkehrt. Da ich mich aber mittlerweile an eine sehr viel höhere Dosierung gewöhnt habe, erschienen die Aufgüsse etwas zu lasch, obwohl der zweite wirklich spitze war. Aus diesem Grund werde ich das nächste Mal die Dosierung von 2 auf 2,5g pro 100ml erhöhen und schauen, was der Tee dann hergibt.